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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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wurde, glaubte ich, sie sei mir längst entglitten, und alles sei vorbei. Es schien mir endlos, seit sie fort war, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie wiederkommen würde. Dann kamen Abende voll schwerer, wilder Sehnsucht, wo nichts mehr half, als mit den Huren und den Viehhändlern bis morgens zu sitzen und zu trinken.
     Der Wirt hatte die Erlaubnis bekommen, das International am Weihnachtsabend offenzuhalten. Es sollte eine große Feier für die Junggesellen aller Vereine stattfinden. Der Vorsitzende des Viehhändlerverbandes, der Schweinehändler Stefan Grigoleit, stiftete dazu zwei Spanferkel und eine Anzahl Eisbeine. Er war seit zwei Jahren Witwer und eine weiche Natur; da wollte er Weihnachten in Gesellschaft verbringen.
     Der Wirt erstand eine vier Meter hohe Edeltanne, die neben der Theke aufgebaut wurde. Rosa, die Autorität in allem, was traulich und gemütlich hieß, übernahm es, den Baum zu schmücken. Marion und der schwule Kiki, der infolge seiner Veranlagung auch viel Sinn für Schönheit hatte, halfen ihr. Die drei begannen mittags mit ihrer Arbeit. Sie verbrauchten eine Unmenge bunter Kugeln, Kerzen und Lametta, aber der Baum sah zum Schluß dafür auch großartig aus. Als besondere Aufmerksamkeit für Grigoleit wurde eine Anzahl rosa Marzipanschweinchen hineingehängt.

     Ich hatte mich nachmittags zu Bett gelegt, um ein paar Stunden zu schlafen. Als ich aufwachte, war es dunkel. Ich mußte mich einen Augenblick besinnen, ob es Abend oder Morgen war. Ich hatte geträumt, aber ich wußte nicht mehr wovon. Ich war weit weg gewesen, und ich glaubte noch zu hören, daß eine schwarze Tür hinter mir zuschlug. Dann merkte ich, daß jemand klopfte.
     »Wer ist da?« rief ich.
     »Ich, Herr Lohkamp.«
     Ich erkannte die Stimme Frau Zalewskis. »Kommen Sie herein«, rief ich. »Die Tür ist offen.«
     Die Klinke knirschte, und ich sah Frau Zalewski vor dem gelben Licht des Korridors im Türrahmen stehen. »Frau Hasse ist da«, flüsterte sie. »Kommen Sie rasch. Ich kann es ihr nicht sagen.«
     Ich rührte mich nicht. Ich mußte mich erst zurechtfinden.
     »Schicken Sie sie zur Polizei«, erwiderte ich dann.
     »Herr Lohkamp!« Frau Zalewski hob die Hände. »Es ist niemand sonst da. Sie müssen mir helfen. Sie sind doch ein Christenmensch!«
     Sie stand wie ein tanzender schwarzer Schatten im Viereck der Türöffnung. »Hören Sie auf«, sagte ich ärgerlich. »Ich komme schon.«
     Ich zog mich an und ging hinaus. Frau Zalewski wartete draußen auf mich. »Weiß sie schon was?« fragte ich.
     Sie schüttelte den Kopf und preßte ihr Taschentuch an die Lippen.
     »Wo ist sie denn?«
     »In ihrem früheren Zimmer.«
     Vor der Küche stand Frida, schwitzend vor Aufregung. »Sie hat einen Hut auf, ganz mit Reihern, und eine Diamantbrosche an«, flüsterte sie.
     »Passen Sie auf, daß dieser verkorkste Küchentrampel nicht lauscht«, sagte ich zu Frau Zalewski und ging hinein.
     Frau Hasse stand am Fenster. Sie schnellte herum, als ich hereinkam. Sie hatte sichtlich jemand anderes erwartet. Es war idiotisch, aber mein erster Blick galt dem Hut und der Brosche, obschon ich es nicht wollte. Frida hatte recht; der Hut war pompös. Die Brosche weniger. Die ganze Person war ziemlich aufgedonnert, so wie jemand, der einem andern zeigen will, wie gut es ihm geht. Im ganzen sah sie nicht schlecht aus; besser jedenfalls als das ganze Jahr, während sie hier gewesen war.
    »Hasse arbeitet wohl noch am Heiligen Abend, wie?«
    fragte sie spitz.
     »Nein«, sagte ich. »Wo ist er denn? Auf Urlaub?«
     Sie kam auf mich zu, schaukelnd in den Hüften. Ich roch
    ihr zu starkes Parfüm. »Was wollen Sie denn noch von ihm?« fragte ich.
     »Meine Sachen erledigen. Abrechnen. Schließlich gehört mir doch ein Teil davon.«
     »Das brauchen Sie nicht mehr«, sagte ich. »Es gehört Ihnen jetzt alles.« Sie starrte mich an.
     »Er ist tot«, sagte ich.
     Ich hätte es ihr gern anders gesagt. Mit mehr Vorbereitung
    und langsamer. Aber ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte. Außerdem war mein Kopf noch wüst vom Nachmittagsschlaf; diesem Schlaf, bei dem man dem Selbstmord nahe ist, wenn man aufwacht.
     Frau Hasse stand mitten im Zimmer, und merkwürdigerweise sah ich im Moment, wo ich es ihr sagte, ganz deutlich, daß sie nirgendwo gegenschlagen würde, wenn sie jetzt umfiele. Es war sonderbar, aber ich sah wirklich nichts anderes und dachte auch nichts anderes.
     Doch sie fiel nicht um.

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