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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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daß ich bei ihm gewesen war. Er hockte an seinem Schreibtisch und sah verdammt schlecht aus. Rund um ihn herum lag ein Haufen zerrissenes Papier. »Tag, Georgie«, sagte ich, »was machst du denn da?«
     »Inventur«, erwiderte er mit einem matten Lächeln. »Gute Weihnachtsbeschäftigung.«
     Ich bückte mich nach einem der Papierfetzen. Es waren Kolleghefte mit chemischen Formeln. »Wozu?« fragte ich.
     »Hat keinen Zweck mehr, Robby.«
     Er sah ziemlich durchsichtig aus. Die Ohren waren wie aus Wachs. »Was hast du heute gegessen?« fragte ich.
     Er wehrte ab. »Das ist ja egal. Das ist es auch nicht. Das Essen nicht. Aber ich kann einfach nicht mehr weiter. Ich
    muß es aufgeben.«
    »Ist das so schlimm?«
    »Ja«, sagte er.
     »Georgie«, erwiderte ich ruhig, »sieh mich mal an. Glaubst du nicht, daß ich auch mal was anderes werden wollte als Klavierspieler in der Hurenbude, dem Café International?«
     Er knetete an seinen Händen herum. »Ich weiß es, Robby. Aber es hilft mir nichts. Für mich war es alles. Und jetzt habe ich eingesehen, daß es keinen Zweck hat. Daß nichts einen Zweck hat. Wozu lebt man da eigentlich?«
     Ich mußte lachen, so jämmerlich er auch dasaß, und so bitterernst es ihm war. »Du kleiner Esel«, sagte ich, »da hast du aber was entdeckt! Glaubst du, du bist allein mit deiner grandiosen Weisheit? Natürlich hat's keinen Zweck. Man lebt auch nicht für einen Zweck. So einfach ist das nun doch nicht. Komm, zieh dich an. Du gehst mit mir ins International. Wir wollen feiern, daß du ein Mann geworden bist. Bislang warst du ein Schuljunge. Ich hole dich in einer halben Stunde ab.«
     »Nein«, sagte er.
     Er war verdammt herunter. »Doch«, sagte ich. »Du wirst mir den Gefallen tun. Ich möchte heute nicht allein sein.«
     Er blickte mich zweifelnd an. »Meinetwegen«, erwiderte er dann mutlos. »Ist ja schließlich egal.«
     »Na siehst du«, sagte ich. »Für den Anfang ist das schon ein ganz hübscher Wahlspruch.«
    Um sieben Uhr meldete ich das Gespräch mit Pat an. Von dieser Zeit an kostete es die halbe Taxe, und ich konnte doppelt so lange telefonieren. Ich setzte mich auf den Tisch im Vorzimmer und wartete. In die Küche wollte ich nicht gehen. Es roch da nach grünen Bohnen, und damit wollte ich Pat nicht einmal beim Telefonieren zusammenbringen. Eine Viertelstunde später kam das Gespräch. Pat war gleich am Apparat. Als ich ihre warme, dunkle, etwas zögernde Stimme so dicht neben mir hörte, wurde ich so aufgeregt, daß ich kaum sprechen konnte. Es war wie ein Zittern, wie ein Beben des Blutes, gegen das man mit allem Willen nichts machen konnte.
     »Mein Gott, Pat«, sagte ich, »bist du wirklich da?«
     Sie lachte. »Wo bist du denn, Robby? Im Büro?«
     »Nein, ich sitze bei Frau Zalewski auf dem Tisch. Wie geht
    es dir?«
     »Gut, Liebling.«
     »Bist du auf?«
     »Ja. Ich sitze auf der Fensterbank in meinem Zimmer und
    habe meinen weißen Bademantel an. Draußen schneit es.«
     Ich sah sie plötzlich deutlich vor mir. Ich sah die Schneeflocken wirbeln, ich sah den schmalen, dunklen Kopf, die geraden, etwas vorgebeugten Schultern, die bronzefarbene Haut.
     »Herrgott, Pat«, sagte ich, »das verfluchte Geld! Ich würde mich sonst auf der Stelle in ein Flugzeug setzen und heute abend noch ankommen.«
     »Ach, Liebling...«
     Sie schwieg. Ich horchte in das leise Kratzen und Summen
    der Leitung. »Bist du noch da, Pat?«
     »Ja, Robby. Aber du mußt so etwas nicht sagen. Mir ist ganz schwindlig geworden.«
     »Mir ist auch verdammt schwindlig«, sagte ich. »Erzähl mir, was du da oben alles machst.«
     Sie begann zu sprechen, aber ich hörte bald nicht mehr auf das, was sie sagte. Ich hörte nur ihre Stimme, und während ich so auf dem dunklen Vorplatz hockte, zwischen dem Wildschweinschädel und der Küche mit den grünen Bohnen, schien es mir, als ginge die Tür auf und eine Welle von Wärme und Glanz käme herein, schmeichelnd und bunt, voll von Träumen, Sehnsucht und Jugend. Ich stemmte die Füße gegen den Tisch, ich stützte den Kopf in die Hand, ich sah den Wildschweinschädel an und die abgestoßene Küchentür, aber ich konnte mir nicht helfen – Sommer war auf einmal da, Wind, Abend über Ährenfeldern und das grüne Licht der Waldwege. Die Stimme schwieg. Ich atmete tief. »Es ist schön mit dir zu sprechen, Pat. Und heute abend, was tust du da?«
     »Heute abend ist ein kleines Fest. Um acht beginnt es. Ich ziehe mich gerade

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