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Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Nachmittags hatte ich mit Patrice Hollmann telefoniert. Sie war krank gewesen, und ich hatte sie fast eine Woche nicht mehr gesehen. Jetzt waren wir um acht Uhr verabredet, und ich hatte ihr vorgeschlagen, bei mir zu essen und nachher in ein Kino zu gehen.
     Die Brokatsessel und der Teppich wirkten pompös; aber die Beleuchtung dazu war schrecklich. Ich klopfte deshalb nebenan bei der Familie Hasse, um mir eine Tischlampe auszuleihen. Frau Hasse saß müde am Fenster. Ihr Mann war noch nicht da. Er arbeitete jeden Tag freiwillig ein bis zwei Stunden länger, um nur ja nicht entlassen zu werden. Die Frau hatte etwas von einem kranken Vogel. In ihren schwammigen, alternden Zügen war immer noch das schmale Gesicht eines Kindes zu erkennen – eines
    enttäuschten, traurigen Kindes.
     Ich brachte mein Anliegen vor. Sie lebte auf und holte mir die Lampe. »Ach ja«, sagte sie seufzend, »wenn ich noch so daran denke, früher...«
     Ich kannte die Geschichte. Sie handelte von den Aussichten, die sie gehabt hätte, wenn sie Hasse nicht genommen hätte. Ich kannte dieselbe Geschichte auch in der Fassung Hasses. Da handelte sie von den Aussichten, die er gehabt hätte, wenn er Junggeselle geblieben wäre. Es war wahrscheinlich die häufigste Geschichte der Welt. Auch die aussichtsloseste.
     Ich hörte eine Weile zu, erwiderte ein paar Gemeinplätze und begab mich zu Erna Bönig, um mir ihr Grammophon zu holen.
     Frau Hasse sprach von Erna nur als von der Person nebenan. Sie verachtete sie, weil sie sie beneidete. Ich mochte sie ganz gern. Sie machte sich nichts vor über das Leben und wußte, daß man sich dranhalten mußte, um ein bißchen von dem zu erwischen, was man so Glück nannte. Sie wußte auch, daß man es doppelt und dreifach bezahlen mußte. Glück war die ungewisseste Sache der Welt mit dem höchsten Preis.
     Erna kniete vor ihrem Koffer nieder und suchte mir eine Anzahl Platten heraus. »Wollen Sie Foxtrotts?« fragte sie.
     »Nein«, erwiderte ich. »Ich kann nicht tanzen.«
     Sie sah erstaunt auf. »Sie können nicht tanzen? Ja, was machen Sie dann, wenn Sie ausgehen?«
     »Ich tanze mit der Gurgel. Das geht auch ganz gut.«
     Sie schüttelte den Kopf. »Ein Mann, der nicht tanzen kann, wäre bei mir abgemeldet.«
     »Sie haben strenge, Grundsätze«, erwiderte ich. »Aber es gibt ja auch noch andere Platten. Sie spielten da neulich eine sehr schöne – es war eine Frauenstimme mit so einer Art Hawaiimusik...«
     »Ah, die ist fabelhaft. ›Wie hab' ich nur leben können ohne dich...‹, nicht wahr?«
     »Richtig! Was so Schlagerdichtern alles einfällt! Ich glaube, es sind die einzigen Romantiker, die es noch gibt.«
     Sie lachte. »Warum auch nicht? So ein Grammophon ist ja auch wie eine Art Stammbuch. Früher schrieb man sich Verse ins Album – heute schenkt man sich Grammophonplatten. Wenn ich mich an irgend etwas erinnern will, brauche ich nur die Platte von damals aufzulegen, und schon ist alles wieder da.«
     Ich sah auf die Stöße von Platten herab, die auf der Erde lagen. »Daran gemessen, Erna, müssen Sie einen Haufen Erinnerungen haben.«
     Sie stand auf und strich sich das rötliche Haar zurück. »Ja«, sagte sie und schob einen Pack mit dem Fuß beiseite, »aber eine einzige richtige wäre mir lieber...«
     Ich packte aus, was ich zum Abendbrot eingekauft hatte, und machte alles zurecht, so gut ich konnte. Aus der Küche war keine Hilfe für mich zu erwarten, dazu stand ich mit Frida zu schlecht. Sie hätte mir höchstens etwas umgeworfen. Aber es ging auch so, und bald kannte ich meine alte Bude nicht wieder in ihrem neuen Glanz. Die Sessel, die Lampe, der gedeckte Tisch – ich spürte, wie eine unruhige Erwartung sich in mir sammelte.
     Ich brach auf, obschon ich noch über eine Stunde Zeit hatte. Draußen wehte der Wind in langen Stößen um die Ecken der Häuser. Die Laternen brannten schon. Die Dämmerung zwischen den Häusern war blau wie ein Meer. Das International schwamm darin wie ein abgetakeltes Kriegsschiff. Ich machte einen Sprung hinein.
     »Hoppla, Robert«, sagte Rosa.
     »Was machst du denn hier?« fragte ich. »Willst du nicht auf Tour?«
     »Ist noch etwas zu früh.«
     Alois schlich heran. »Einstöckig?« fragte er.
     »Dreistöckig«, erwiderte ich.
     »Gehst ja mächtig 'ran«, meinte Rosa.
     »Brauche etwas Mumm«, sagte ich und kippte den Rum.
     »Spielst du was?« fragte Rosa.
     Ich schüttelte den Kopf. »Keine Lust heute. Zu windig,

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