Drei Männer im Schnee
murmelte:
»Diese jungen Leute! Wie im Frieden!«
Das sechzehnte Kapitel - Auf dem Wolkenstein
Frau Kunkel hatte sich hinsichtlich ihrer Trinkfestigkeit geirrt.
Vielleicht vertrug sie nichts, weil sie seit der Hochzeit ihrer Schwester, Anno 1905, aus der Übung gekommen war. Tatsache ist, daß sie am Tage nach ihrer Ankunft in Bruckbeuren mit einem katastrophalen Ölkopf aufwachte. Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, und ihr Frühstück bestand aus Pyramidon. »Wie war das eigentlich gestern nacht?« fragte sie. »Habe ich sehr viel Blödsinn geredet?«
»Das wäre nicht so schlimm gewesen«, meinte Hilde. »Aber Sie begannen die Wahrheit zu sagen! Deswegen mußte ich ununterbrochen mit Doktor Hagedorn tanzen.«
»Sie Ärmste!«
»Das nun wieder nicht. Aber meine weißen Halbschuhe drückten entsetzlich. Und das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Sonst hätte er nicht mehr tanzen wollen, und dann wären sämtliche Geheimnisse, die wir vor ihm haben, herausgekommen.«
»Eines Tages wird er sie ja doch erfahren müssen!«
»Gewiß, meine Dame. Aber weder am ersten Abend noch von meiner angetrunkenen Tante, die gar nicht meine Tante ist.«
Frau Kunkel rümpfte die Stirn. Sie fühlte sich beleidigt. »Und was geschah dann?« fragte sie unwillig.
»Dann hat Johann Sie ins Bett gebracht.«
»Um des Himmels willen!« rief Tante Julchen. »Das hat mir noch gefehlt!«
»Das hat Johann auch gesagt. Aber es mußte sein. Sie forderten nämlich einen Herrn nach dem andern zum Tanzen auf. Erst tanzten Sie mit Herrn Spalteholz, einem Fabrikanten aus Gleiwitz; dann mit Mister Sullivan, einem englischen Kolonialoffizier; dann mit Herrn Lenz, einem Kunsthändler aus Köln; schließlich machten Sie sogar vor dem Oberkellner einen Knicks, und da fanden wir’s an der Zeit, Sie zu beseitigen.«
Frau Kunkel sah puterrot aus. »Habe ich schlecht getanzt?« fragte sie leise.
»Im Gegenteil. Sie haben die Herren mit Bravour herumgeschwenkt.
Man war von Ihnen begeistert.« Die alte, dicke Dame atmete auf.
»Und hat sich der Doktor erklärt?«
»Wollen Sie sich deutlicher ausdrücken?« fragte Hilde.
»Hat er die vierte Frage hinter der Tür gestellt?«
»Ach so! Sie haben gestern nachmittag gehorcht! Nein, die vierte Frage hat er nicht gestellt.«
»Warum denn nicht?«
»Vielleicht war keine Tür da«, meinte Fräulein Tobler. »Außerdem waren wir ja nie allein.«
Frau Kunkel sagte: »Ich verstehe Sie ja nicht ganz, Fräulein Hilde.«
»Meines Wissens verlangt das auch kein Mensch.«
»So ein arbeitsloser Doktor, das ist doch kein Mann für Sie. Wenn ich bedenke, was für Partien Sie machen könnten!«
»Werden Sie jetzt nicht ulkig!« sagte Hilde. »Partien machen! Wenn ich das schon höre! Eine Ehe ist doch kein Ausflug!« Sie stand auf, zog die Norwegerjacke an und ging zur Tür.
»Kommen Sie! Sie sollen Ihren Willen haben. Wir werden eine Partie machen!« Tante Julchen schusselte hinterher. Auf der Treppe mußte sie umkehren, weil sie die Tasche vergessen hatte. Als sie in der Halle eintraf, standen die andern schon vor der Hoteltür und warfen nach dem schönen Kasimir mit Schneebällen.
Sie trat ins Freie und fragte: »Wo soll denn die Reise hingehen?«
Herr Schulze zeigte auf die Berge. Und Hagedorn rief: »Auf den Wolkenstein!«
Tante Julchen schauderte. »Gehen Sie immer voraus!« bat sie. »Ich komme gleich nach. Ich habe die Handschuhe vergessen.«
Herr Kesselhuth lächelte schadenfroh und sagte: »Bleiben Sie nur hier. Ich borge Ihnen meine.«
Als Frau Kunkel die Talstation der Drahtseilbahn erblickte, riß sie sich los. Die Männer mußten sie wieder einfangen. Sie strampelte und jammerte, als man sie in den Wagen schob. Es war, als würde Vieh verladen. Die andern Fahrgäste lachten sie aus.
»Dort hinauf soll ich?« rief sie. »Wenn nun das Seil reißt?«
»Dieserhalb sind zwei Reserveseile da«, meinte der Schaffner. »Und wenn die Reserveseile reißen?«
»Dann steigen wir auf freier Strecke aus«, behauptete Hagedorn.
Sie randalierte weiter, bis Hilde sagte: »Liebe Tante, willst du denn, daß wir andern ohne dich abstürzen?« Frau Kunkel verstummte augenblicklich, blickte ihre Nichte und Herrn Schulze treuherzig an und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie sanft wie ein Lamm,
»dann will ich auch nicht weiterleben.«
Der Wagen hob sich und glitt aus der Halle. Während der ersten zehn Minuten hielt Tante Julchen die Augen fest zugekniffen.
Jedesmal, wenn man, schaukelnd
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