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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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erreicht und mir Sorgen gemacht, weil dein Telefon ausgeschaltet war …«
    Giulietta schüttete Milch in ihren Kaffee und rührte mit dem Löffel darin herum. Er unterbrach sich.
    »Ich höre dir zu«, sagte sie und legte den Löffel zur Seite.
    Aber ihre Ruhe war gespielt. Ihr Herz raste. Sie hatte Angst vor diesem Geständnis, das ihrem Vater offensichtlich nur mit großer Mühe über die Lippen kam. Sie hatten niemals darüber gesprochen. Sie war ausgezogen. Er hatte die Wohnung bezahlt. Das war alles. Sie war ihm aus dem Weg gegangen. Ihr Umgang war steif und unangenehm geworden, und das hatte bei ihr ein schlechtes Gewissen ausgelöst. Sie wusste, was er zu sagen versuchte, und sie wusste ebenso, dass er das nicht konnte. Auch sie wäre dazu nicht in der Lage gewesen. Sie wollte genauso wenig an diesen Punkt rühren. Es war nie etwas zwischen ihnen vorgefallen. Aber was besagte das schon. Die Spannung, die unaussprechliche, schleichende Angst war immer da gewesen. Etwas zwischen ihnen war nicht normal. Auch jetzt nicht. Sie hatte eine Macht über ihn, die sie nicht wollte, vor der es ihr ekelte. Er konnte sich beherrschen, so viel er wollte, sie spürte es trotzdem. Es war immer da. Wenn er sie anschaute.
Wie
er sie anschaute. Und jetzt sollten sie darüber sprechen, hier, in Buenos Aires?
    »Als ich durch den Hof ging, war Licht in deiner Wohnung. Ich war froh und klingelte gleich unten. Aber es kam keine Antwort. Also ging ich hinauf, klingelte noch mal, und als noch immer keine Reaktion kam, schloss ich die Tür auf.«
    »Und er war da.«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Er saß auf der Couch.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Nackt. Ich meine, er hatte wohl gerade geduscht … da war ein Handtuch, er hatte nasse Haare … er muss dich erwartet haben.«
    Sie spürte einen Stich im Magen. Dann errötete sie leicht und verwünschte sich dafür. Natürlich hatte er sie nicht erwartet. Sie hatte gesagt, sie käme erst am Mittwoch zurück. Er war in ihrer Wohnung gewesen, hatte geduscht, die Klingel nicht gehört oder vielleicht doch. Jedenfalls hatte er nicht geöffnet. Sie hatten keine gemeinsamen Bekannten. Er kannte ihre Freunde nicht. Also reagierte er nicht. Als er den Schlüssel im Schloss hörte, muss er gedacht haben, sie sei früher als geplant zurückgekommen, hatte sich auf die Couch gesetzt … und dann war ihr Vater …
    »Du kannst dir vorstellen, dass ich ganz schön erschrocken bin.«
    »Was fällt dir ein, einfach in meine Wohnung einzudringen«, fragte sie scharf.
    Er schaute sie verblüfft an. »Sag mal, spinnst du?«
    »Nein. Das ist genau der Punkt, Papa. Ich hätte genauso gut mit Damián auf dieser Couch liegen können. Und dann? Gehst du auch bei deinen Bekannten in die Wohnung hinein, nur weil Licht brennt und keiner auf dein Klingeln reagiert?«
    »So ein absurder Vergleich.« Er wurde blass und leckte sich nervös die Lippen. »Schließlich war Damián bei dir eingedrungen und nicht ich …«
    »Damián konnte kommen und gehen, wie er wollte. Das war seit Wochen so und mein ausdrücklicher Wunsch. Für dich galt das nicht. Niemals. Das weißt du genau. Und du weißt auch, warum.«
    Wo kam das alles bloß her? Diese Verachtung. Dieser Abscheu. Sie musste sich unbedingt beherrschen. Aber etwas reizte sie von einem auf den anderen Augenblick aufs Äußerste. Warum hatte sie das bloß früher nie gesehen, nie gespürt? Diese unsichtbaren Tentakel, die überall aus ihm herauswuchsen. Er hatte sie jahrelang unterstützt, verteidigt, gefördert und dabei in eine ferngelenkte Puppe verwandelt. Alles an ihm war Kontrolle. Nur deshalb war ihr wahrscheinlich das Schlimmste erspart geblieben: weil sein manisches Kontrollbedürfnis sogar über dieses Begehren dominierte, das ihr so zuwider war und das in seiner Gegenwart niemals ganz verschwand, selbst dann nicht, wenn ihre Mutter dabei war. Aber sie musste einen klaren Kopf behalten. Hier liefen mehrere Dinge durcheinander. Das war ihr Fehler gewesen. Es gab gar keine wirkliche Verknüpfung zwischen diesen Ereignissen. Es war völliger Unsinn gewesen, nach Buenos Aires zu fahren. Sie und ihr Vater, das war eine Sache. Damiáns durchgedrehtes Leben hatte nichts damit zu tun. Es gab nur diese eine, zufällige Begegnung der beiden an jenem Dienstagabend in ihrer Wohnung. Ihr Vater hatte unter Hochspannung gestanden, weil er sie einen Tag lang nicht erreichen konnte. Weil sie heimlich nach Braunschweig gefahren war. Weil sie sich seiner

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