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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ich einen Mann kennen lerne? Du bist ja so krank. Du brauchst einen Psychiater, verdammt …«
    Er spielte mit seiner Kaffeetasse und schüttelte den Kopf. Wie rede ich nur mit ihm, dachte sie verwundert. Was war das für ein Gespräch? Sie war überfordert. Es war ihr peinlich, ihren Vater so zerknirscht zu sehen. Sie konnten über dieses Thema nicht sprechen. Das ging einfach nicht. Sie hasste ihn für seine Schwäche. Selbst seine Rechtfertigungen wirkten matt und halbherzig.
    Der Rezeptionist trat plötzlich an ihren Tisch. »Señor Battin, disculpe pero hay una llamada para Usted. Cábina ocho.«
    Ihr Vater schaute auf, schüttelte den Kopf und sagte: »Excuse me?«
    Der Rezeptionist wiederholte sein Anliegen auf Englisch. »There is a call for you in phone booth number 8.«
    Er erhob sich. »Das ist sicher Anita. Ich bin gleich wieder da, ja?«
    Giulietta nickte.
    Der Rezeptionist war bereits vorgegangen, und Giulietta schaute ihrem Vater hinterher. Sie schlug die Beine übereinander und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. So hatte sich das also abgespielt. Ein Eifersuchtsdrama. Ihr Vater hatte ihm gedroht, und Damián war durchgedreht. Aber wieso? Wegen seiner eigenen komplizierten Geschichte? In diesem Menschen war so viel Hass aufgestaut. Wahrscheinlich bedurfte es keines besonderen Grundes, um ihn hervorbrechen zu lassen. Doch warum richtete er sich gegen sie? Warum dieser völlige, totale Rückzug?
    Sie beobachtete ihren Vater am Telefon. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und schrieb irgendetwas auf. Und dann lief die Szene plötzlich noch einmal vor ihren Augen ab: das überraschte Gesicht des Rezeptionisten. Warum auf einmal Englisch, schien er gedacht zu haben. Warum versteht der Mann mich auf einmal nicht mehr?
    Sie begann zu schwitzen. Warum plötzlich Englisch?
    Das konnte nur eines bedeuten.
    Ihr Vater sprach Spanisch.

24
    I hr erster Impuls war, aufzustehen und davonzulaufen. Aber dazu hatte sie nicht die Kraft. Sie war zu erschöpft. Es gab zu viele Dinge, die sie nicht begriff. Als ihr Vater an den Tisch zurückkehrte, lächelte er sie an und meinte, Mama lasse sie grüßen. Sie erwiderte nichts und spielte mit ihrem leeren Glas. Er machte ein paar Versuche, an das Gespräch von eben anzuknüpfen, aber die Unterhaltung kam nicht mehr in Gang.
    »Ich will jetzt nicht über diese Sache reden«, sagte sie schließlich. »Wann ist dein Rückflug?«
    »Offen«, sagte er nach einem kurzen Zögern.
    »Dann können wir zusammen zurückfliegen.«
    Er schaute sie verwundert an.
    »Mein Rückflug ist am Samstag«, fuhr sie fort, »ich muss heute noch bestätigen.«
    Damit hatte er offenbar überhaupt nicht gerechnet. Keine Diskussion. Kein Widerstand. Aber was hatte er sich eigentlich vorgestellt? Dass sie wochenlang in dieser Stadt herumirren würde?
    »Wenn du mir dein Ticket gibst, erledige ich das«, sagte er vorsichtig.
    Sie holte einen Umschlag aus der Handtasche und reichte ihn ihm.
    »Du bist doch sicher müde, oder?«, fragte sie dann. »Soll nicht lieber ich das für dich machen?«
    »Nein, nein. Lass nur.« Er schaute den Umschlag an, holte das Ticket heraus und betrachtete es, als habe er noch nie ein Flugticket gesehen. »Was ist dir lieber, Fensterplatz oder Gang?«
    »Fenster«, sagte sie bestimmt. »Wenn Plätze frei sind.«
    »Wo wohnst du eigentlich?«
    »Nicht weit von hier. Ich rufe dich heute Abend an, ja?« Sie stand auf.
    Er schaute sie verdutzt an.
    »Heute Abend …? Ach so, deine Verabredung.«
    Er erhob sich, wollte sie umarmen, registrierte, dass sie zurückwich, und unterließ die Geste.
    »In Ordnung«, sagte er. »Essen wir später zusammen?«
    »Ich weiß noch nicht, wie lange das Treffen mit ihm dauern wird.«
    »Hier isst man spät. Wie im Süden.«
    Woher wusste er das? »Ach ja. Du kennst die Sitten hier?«
    Sein Blick wurde ernst. Dann bekam er kurz etwas Flehendes, bevor er resigniert fragte: »Giulietta, warum bist du so eigenartig?«
    »Ich rufe dich an«, erwiderte sie abwehrend.
    Er war irritiert, aber er beherrschte sich. »Also gut. Wie du willst. Sei bitte vorsichtig, ja?«
    »Sicher. Bis später.«
    Sie drehte sich um und ging schnell davon. Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken, schaute jedoch nicht zurück. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Aber sie ertrug seine Gegenwart nicht. Sie hielt ein Taxi an, stieg hinein und nannte Lindseys Adresse.
    Was nun wohl in seinem Kopf vorging? Er war über den Atlantik geflogen, um sie

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