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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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öffnete. Giulietta trug rasch ihr Anliegen vor.
    »Ihre Kanzlei arbeitet für einen Bekannten von mir«, begann sie. »Ich möchte gerne eine Aussage machen.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, wer den Fall bearbeitet?«
    »Nein.«
    Die Frau runzelte die Stirn, bat sie jedoch herein und führte sie in ein geräumiges Büro. Giulietta nahm ihr gegenüber an einem riesigen Schreibtisch Platz. Das Telefon klingelte. »Entschuldigen Sie bitte einen Augenblick«, sagte die Sekretärin und griff nach dem Hörer.
    Giulietta ließ ihren Blick durch den Raum wandern. Sämtliche Wände waren bis zur Decke mit Bücherregalen zugestellt. Ein regelrechtes Archiv. Die Einrichtung war altertümlich. Es roch sogar etwas muffig.
    »Wie heißt Ihr Bekannter?«, fragte die Frau, als sie zu Ende telefoniert hatte.
    »Alsina. Damián Alsina.«
    »Und wissen Sie, um was es sich handelt. Strafsache? Kindschaft? Asyl?«
    »Nein. Das weiß ich nicht.«
    »Nun denn. Dann schauen wir mal.«
    Ein Computer hatte immerhin seinen Weg in diese Juristengruft gefunden. »Aha. Hier haben wir’s schon. Das macht Herr Kannenberg. Der ist heute bei Gericht. Möchten Sie einen Termin machen?«
    »Ja. Bitte.« Sie versuchte einen Blick auf den Bildschirm zu werfen, aber es gelang ihr nicht.
    »Wie ist Ihr Name bitte?«
    »Battin. Giulietta Battin.«
    »Herr Kannenberg macht seine Termine nach telefonischer Rücksprache. Sie können Ihre Telefonnummer hinterlassen, er wird Sie dann zurückrufen. Er ist sehr beschäftigt. Probieren Sie es also ruhig selber einmal, falls er sich in den nächsten Tagen nicht meldet. Hier ist seine Durchwahl.«
    Giulietta schrieb die Telefonnummer auf einen Zettel.
    »Können Sie mir sagen, wie es mit der Sache steht?«, fragte sie unsicher.
    »Ich kann Ihnen gar nichts sagen. Sie müssen sich schriftlich oder fernmündlich an Herrn Kannenberg wenden. Mehr kann ich nicht für Sie tun. Ich begleite Sie hinaus.«

8
    S ie fuhr nach Zehlendorf und aß mit ihrer Mutter zu Abend. Ihr Vater war nicht da. Mittwoch. Tennis. Sonst wäre sie auch nicht hingefahren.
    »Ist die Abrechnung der Kreditkarte schon gekommen?«, fragte sie irgendwann.
    »Giulietta, vergiss es, ja?«
    »Nein. Ich bezahle das. Punkt.«
    »Reden wir später darüber.«
    »Wie über alles? … später?«
    Anita Battin legte ihr Besteck auf den Teller und tupfte sich den Mund ab. »Willst du mit mir reden? Bitte!«
    Sie schaute ihrer Mutter ins Gesicht. »Warum hast du mir nicht geholfen?«
    »Was meinst du damit?«
    » ER . Dein MANN . Warum hast du ihm nicht gesagt, er soll mich in Ruhe lassen? Du musst das doch gemerkt haben.«
    Der Unwille, es auszusprechen, auf beiden Seiten, war wie mit Händen greifbar.
    »Papa begehrt mich als Frau«, sagte sie schnell.
    Anitas Antwort schockierte sie. »Und du? Was ist mit dir?«
    »Sag mal … spinnst du?« Giulietta stand vom Tisch auf und ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein.
    »Siehst du, wie absurd solch ein Gedanke ist«, hörte sie die Stimme ihrer Mutter hinter sich. »Er war auf diesen Argentinier eifersüchtig, aber nicht so, wie du denkst. Dein Vater liebt dich sehr und will, dass du Karriere machst. Den Rest bildest du dir ein.«
    Sie drehte sich nicht um. Andernfalls hätte sie losgeschrien.

9
    S ie war in ihr Zimmer gegangen, um einige Gegenstände zu holen, die sie plötzlich vermisste. Einen Stofflöwen. Eine Kiste mit alten Schulheften. Das Nurejew-Fonteyn-Poster. Dann suchte sie auf dem Dachboden einen Karton mit Winterkleidung, die sie im vergangenen Jahr ausrangiert und hier verstaut hatte. Jetzt hatte sie auf einmal Sehnsucht nach diesen alten Kleidern. Sie hatte den Karton längst gefunden, blieb jedoch zwischen dem angesammelten Gerümpel stehen und betrachtete einen Schrank neben dem Kamin. Ihre Mutter telefonierte. Sie hörte ihre Stimme durch das Treppenhaus. Sie wusste, dass ihr Vater dort Dinge aufbewahrte, die er nicht mehr brauchte, jedoch nicht wegwerfen wollte. Es war sein Schrank. Der Schlüssel steckte. Aber es befand sich nichts Nennenswertes darin. Drei Sommeranzüge, in Plastiksäcke gegen Staub verpackt. Fachliteratur über Bergbauwesen. Das hatte er einmal studiert, in den sechziger Jahren. Offenbar hatte er nach seiner Übersiedlung versucht, sich auf den westdeutschen Stand zu bringen. Die Zeitschriften waren von 1978. Aber in Westberlin hatte man keine Verwendung für seine Bergbaukenntnisse gehabt. Er war Sicherheitsexperte geworden und arbeitete

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