Drei Minuten mit der Wirklichkeit
als sie ihre Wohnung betrat. Der Anrufbeantworter blinkte. Drei Nachrichten. Zwei stammten von Viviane Dubry. Sie hörte das Band ab und sank dabei langsam auf die Couch. Dann spulte sie zurück, lauschte erneut und fühlte, wie ihre Arme und Beine schwer wie Blei wurden.
Eingang der Nachricht 11:23: »Giulietta. Ich höre, Sie sind heute krank. Würden Sie mich bitte dennoch umgehend zurückrufen. Danke.«
Eingang der Nachricht 17:14: »Giulietta. Ich erreiche Sie weder bei Ihren Eltern noch bei sich zu Hause. Ich erwarte Sie morgen früh um neun Uhr bei mir im Büro zu einer Aussprache.«
Eingang der Nachricht 20:03: »Frau Battin. Hier spricht Nikolaus Kannenberg. Ich habe erst heute von Ihrem Besuch erfahren. Bitte rufen Sie mich so bald wie möglich an. Danke.«
Ende der Nachrichten.
15
H eert van Driesschen stand mit verschränkten Armen am Fenster und blickte sie finster an, als sie das Büro betrat. Viviane war entweder noch nicht da oder im Haus unterwegs. Im Sessel in der Ecke saß Theresa Sloboda.
»Hallo, Giulietta«, sagte sie sanft.
»Hallo, Theresa. Hallo, Heert.«
Heerts Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er kam direkt zur Sache. »Shit, Giulietta. Why did you screw this up?«
Sie sank auf den Sessel vor dem Schreibtisch und schaute hilflos vor sich hin.
»Heert …«, hörte sie Theresas Stimme.
»Fuck it«, zischte er und drehte sich um. »Die wollen deine Haut, und du gibst ihnen auch noch das Messer …«
»Es … es tut mir Leid … ich …«
Sie hatte sich ein Dutzend Ausreden überlegt, aber es gab keine, die überzeugte. Sie hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Bevor sie Heert gegenüber zu einer Erklärung ansetzen konnte, ging die Tür auf, und Viviane und Maggie Cowler kamen herein.
»Ah, schau an, Giulietta«, sagte Viviane. »Wieder da?«
Maggies Gesicht sprach Bände, aber sie hielt den Mund. Viviane führte den Prozess.
Ihre Stimme war schneidend. Das ist keine Aussprache, dachte Giulietta panisch, sondern eine Hinrichtung. Sie wird mich entlassen. Deshalb war Heert hier. Deshalb war er stinksauer. Vermutlich nicht einmal wegen ihr. Er verlor sein Spiel gegen Maggie. Das war das Problem. Ihr Stil. Ihr eigener Wille. Ihre Unzuverlässigkeit. Alles sprach gegen sie. Und jetzt hatte sie den Strick für ihre Hinrichtung geliefert. Es war vorbei. Alles bäumte sich in ihr auf. Diese Riesenchance! Es gab nicht viele. Das wusste sie. Vielleicht gab es nur diese.
Sie erhob sich, schulterte ihre Tasche und warf einen Blick in die Runde. Alle blickten sie erstaunt an, und noch bevor Viviane sie zurechtweisen konnte, sagte sie: »Ich habe einen Fehler gemacht. Ich bezahle dafür. Aber eines will ich wissen: Wer hat mich verpfiffen?«
Einige Sekunden herrschte völlige Stille. Sie hatte blind zugeschlagen und getroffen. Heert runzelte die Stirn und blickte Viviane an. Viviane setzte sich.
»Bitte, Giulietta, nehmen Sie wieder Platz.«
Sie kam der Aufforderung nach.
»Wo waren Sie gestern?«
»In Rostock.«
»Warum?«
Sie blickte unsicher in die Runde. Was sollte sie nur sagen. Sie konnte doch unmöglich diese ganze Geschichte erzählen. »Wegen meinem Vater.«
»Was ist mit Ihrem Vater?«
»Er ist … er hat … ich habe seit Jahren Probleme mit ihm. Quälende Probleme. Vorgestern Abend habe ich erfahren, warum. Die Person, die mir Auskunft geben konnte, wohnt in Rostock. Daher bin ich sofort hingefahren.«
Stille. Maggie Cowler prustete los. »I can’t believe it …«
Viviane unterbrach sie barsch. » MAGGIE .«
Sie verstummte. Heert schaute Giulietta neugierig an, sagte aber nichts. Theresa kaute an ihrem Daumennagel.
»Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen, oder wollen Sie das lieber für sich behalten?«
Giulietta biss sich auf die Lippen. »Enska war es, nicht wahr?«, sagte sie dann. »Sie hat mich angeschwärzt, oder?«
»Darüber sprechen wir nachher.«
»Wer war außer mir noch krank in den letzten Wochen? Wurde dort auch angerufen?«
»Giulietta, ich warne Sie.«
Giuliettas Kopf war rot angelaufen. Sie schwitzte. Ihre Brust hob und senkte sich, ohne dass sie das kontrollieren konnte. Maggie Cowler starrte sie hasserfüllt an.
»Stimmt das, Viviane?«, meldete sich jetzt Heert.
»Ich sagte, darüber reden wir nachher. Giulietta, wollen Sie noch etwas zu Ihrem Ausflug nach Rostock sagen oder nicht?«
»Das kann doch nicht wahr sein«, rief der Holländer jetzt. »Enska, diese Null, hat sie verpfiffen. Und du reagierst
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