Drei Wunder (German Edition)
sagte Olivia ausdruckslos. »Ich bin gleich da.«
Genau wie Posey versprochen hatte, war heute Nachmittag eine große, weiche Kleiderhülle angekommen, an der mit einer Sicherheitsnadel ein Kärtchen mit Olivias Namen befestigt war. Olivia griff nach dem Reißverschluss und zog ihn langsam nach unten, vorsichtig, um nicht versehentlich irgendwelchen Stoff einzuklemmen. Sie klappte eine Seite der Verpackung auf, um das Kleid heraus zuholen, da entfuhr ihr ein Seufzer. Während sie sich auf das Bett zurücksinken ließ, schloss Olivia die Augen für einen Moment, öffnete sie wieder und sah nun, was sie von dem Augenblick an geahnt hatte, als der dunkle schwere Stoff hervorgeblitzt hatte.
Das war nicht Violets Kleid.
Erstens war dieses Kleid schwarz. Ganz schwarz. Kein spiralförmiger Seidendruck, keine auffälligen Kreise. Statt der hoch angesetzten Empiretaille hatte dieses Kleid eine tief angesetzte Taille wie in den zwanziger Jahren, und statt der schmalen, zierlichen Träger hatte es ein breites Haltertop, das im Rücken in einem tief ausgeschnittenen V endete. Es war nicht so, dass das Kleid hässlich war, im Gegenteil – es war einfach nur nicht ihres.
Olivia sprang hoch. »Das muss ein Versehen sein«, stellte sie laut fest, öffnete die Kleiderhülle ganz weit. Sie zog den störrischen Reißverschluss energisch nach oben, da flatterte ein zerknittertes Stück Papier auf den Boden.
Olivia musste sich bücken, um es aufzuheben. Als sie es glättete, entdeckte sie, dass es eine Visitenkarte war. Über einer dicken, rudimentären Graphik eines kleinen goldenen Schmetterlings standen die Worte Mariposa of the Mission aufgedruckt. Olivia drehte die Karte und sah, dass etwas auf der Rückseite stand. Sie starrte auf die undeutliche Handschrift, die aussah wie die eines Kindes und vor ihren Augen verschwamm.
Sie zerknüllte die Karte in ihrer Hand und warf sie gegen die Wand.
»Brauchst du Hilfe?«
Olivia zuckte zusammen. Ihre Mutter stand anscheinend immer noch auf der anderen Seite der Tür. »Nein«, rief sie. »Alles bestens.«
Stille, dann das Geklapper von hochhackigen Schuhen, die sich den Flur entlang entfernten.
Olivia setzte sich auf ihr Bett und stützte den Kopf in die Hände. Sie könnte sagen, dass sie sich nicht gut fühlte, was auf jeden Fall die Wahrheit gewesen wäre. Doch sie wusste, dass das keine Option war. Ihre Eltern würden es ihr nicht abnehmen. Sie würden es nur als Zeichen dafür sehen, dass etwas nicht stimmte. Das wiederum würde eine ganze Kette von Ereignissen auslösen, einschließlich Nachforschungen seitens ihrer Mutter und verlegene Blicke ihres Vaters.
»Also gut«, murmelte sie. Sie stemmte sich vom Bett hoch, und mit einer einzigen flüssigen Bewegung nahm sie das Kleid, hob es über den Kopf und ließ es über ihre bloßen Schultern gleiten.
Ein Schauer durchfuhr sie von Kopf bis Fuß, und die winzigen blonden Härchen auf ihren Armen und im Nacken stellten sich auf. Olivia hob einen Fuß, zog damit die Tür des Kleiderschranks auf und drehte sich dann, um in den bodenlangen Spiegel zu schauen. Sie betrachtete ihr Spiegelbild, und ihr Mund formte ganz langsam ein rundes O .
Wenn sie das Kleid nicht selbst ausgepackt hätte, hätte sie niemals geglaubt, dass es das gleiche Kleid war. Während es auf dem Bügel formlos und schwer gewirkt hatte, schien es an ihrem Körper wie in Luft aufgelöst. Während es in der Hülle langweilig und schlicht ausgesehen hatte, strahlte es jetzt Eleganz und Weltgewandtheit aus. Es war, als ob Posey dem Stoff mit Olivia selbst darin seine Form gegeben hätte.
Ein langes, lautes Hupen war von der Straße vor ihrem Fenster zu hören. Ihre Eltern warteten.
Olivia holte tief Luft und schob ihre Füße in ein Paar alte hochhackige Lackschuhe. Als sie sich nach unten beugte, um die Fersen mit Hilfe der Finger hineinrutschen zu lassen, bemerkte sie einen Farbtupfer im Kleid. In der Nähe des Saums saß ein winziger gestickter Schmetterling.
***
Olivia stand an einem der hohen runden Tische, die in einem offenen Halbkreis in der Lobby des Bürogebäudes aufgestellt worden waren, in dem sich Bridgets Kanzlei befand. Das Gebäude selbst war nicht sehr groß und wirkte zwischen den Wolkenkratzern, die ein paar Blocks weiter aufragten, noch kleiner. Doch die Lobby hatte eine elegante europäische Atmosphäre, vervollständigt durch niedrig hängende Kronleuchter und sich wie Uhrzeiger bewegende Messingpfeile über den verspiegelten
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