Drei Wunder (German Edition)
mit einer sozialen Botschafterin an der Seite durchs Leben gegangen. Violet war immer ein Chamäleon gewesen, fähig, jederzeit jede Beliebige zu sein, wenn es um Smalltalk ging oder darum, schnell Freundschaften zu schließen. Olivia sah sich da eher als Gecko. Oder als Molch.
Sie öffnete den Mund, um zu antworten, doch als sie genauer in die Augen ihres Vaters blickte und sah, wie müde und schwer die Lider schienen, hielt sie inne. Sein einst rotes Haar schien seine Farbe verloren zu haben, und auch die Bartstoppeln an seinem Kinn waren stärker mit Grau durchsetzt als früher.
Er hatte sich diese Situation auch nicht ausgesucht.
Es war die Idee ihrer Mutter gewesen, alles zu packen und Willis mitten im Schuljahr zu verlassen. Olivia hatte gedacht, es war doch wirklich ein großer Zufall, dass ihrer Mutter zufällig eine Führungsposition in einer berühmten Kanzlei in San Francisco angeboten worden war, dem gleichen San Francisco, wo es ein Haus gab, das sich seit fast einem Jahrhundert im Besitz ihrer Familie befand. Plötzlich war es egal, dass dieses Haus bisher nur als diese Todesfalle, die Großtante Peggy uns hinterlassen hat erwähnt worden war – plötzlich ergab alles einen Sinn. Bridget hatte einen neuen Job, Olivia hatte eine neue Schule, und Mac, ein arbeitsloser Bauleiter, hatte ein neues Projekt.
Ein Projekt, das sich – wie es bislang aussah – schnell in tausend kleine Projekte verwandelte, wobei keines davon irgendeine Form der Fertigstellung zu erreichen schien.
»Ein paar«, schwindelte Olivia. »Alle sind richtig nett. Und das Gebäude ist cool. Ziemlich alt, mit vielen großen Fenstern.«
»Ja?« Ihr Vater hatte sich wieder zur Spüle gewandt und kämpfte jetzt mit der störrischen Mischbatterie. Olivia konnte weiterreden, wenn sie wollte, aber sie wusste, dass sie genug gesagt hatte. Er hatte bekommen, was er brauchte. Sie hatte kommuniziert. Sie funktionierte.
Alles war bestens im Familienland.
Sie murmelte etwas von Hausaufgaben und ließ ihn die Dinge reparieren, die er noch reparieren konnte.
***
Nach einer schnellen und stillen Mahlzeit mit Mac, zu der sie sich indisches Essen hatten liefern lassen, ließ Olivia sich auf ihr Bett fallen. Sie sank in die lavendelfarbene Decke, die sie von zu Hause mitgebracht hatte und die sie immer noch an Itsy und Bitsy erinnerte, die gefleckten Zwillingskätzchen, die die Mädchen bekommen hatten, als sie sechs waren. Sie hatten die Katzen nur ein paar Monate behalten dürfen, denn dann hatte Bridget von Kopf bis Fuß einen Ausschlag bekommen und entdeckt, dass sie eine Katzenallergie hatte.
Olivia erinnerte sich daran, wie sie Violets Hand gedrückt hatte, als sie die lange Einfahrt zurück zum Tierheim gelaufen waren. Die Tränen tropften von Violets Kinn auf den Kies unter ihren Füßen. Olivia hatte ihrer Schwester damals versprochen, dass sie eines Tages in ein eigenes Haus ziehen würden, wo sie zwanzig Katzen hätten, nichts anderes als ihre Lieblingseiscreme essen würden und sich alle Fernsehsendungen ansähen, die sie wollten. Das hatte funktioniert, und Violet hatte aufgehört zu weinen, bis sie zu Hause waren und gemerkt hatten, dass ihre Decken immer noch nach den Kätzchen rochen, die, nach langem Betteln, in den Zimmern der Mädchen hatten schlafen dürfen.
Olivias Augen waren geschlossen, als eine frische Brise vom offenen Fenster hereinwehte, über ihre Haare strich und die Fenster in ihren Rahmen klappern ließ. Olivia setzte sich auf und sah, dass langsam und mit einem Knarren die Tür einen Spalt aufging: die schmale Tür auf der anderen Seite ihres Zimmers, über die Olivias Zimmer mit dem Eckzimmer verbunden war, das nach hinten zum wuchernden Garten hinausging. Es war ein wenig kleiner als das von Olivia und hatte zwei bogenförmige Erkerfenster mit einer eingebauten Sitzbank dazwischen. Als Olivia erklärt hatte, dass sie nicht dieses Zimmer, sondern den schlichteren, größeren und zur Straße hinausgehenden Raum daneben nehmen würde, hatten ihre Eltern nichts eingewendet. Keiner hatte etwas dazu gesagt, aber jeder wusste es.
Das Eckzimmer war das, was Violet sich gewünscht hätte.
Und als die Umzugslaster ankamen und alles, was noch auszupacken war, einige nicht gekennzeichnete Kisten waren, hatte auch niemand etwas gesagt. Aber irgendwie waren die Kisten ungeöffnet in diesem Zimmer gelandet, hinter den beiden Türen, die immer geschlossen bleiben würden.
Olivia erhob sich langsam und ging hinüber zu
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