Drei Wunder (German Edition)
sich zu ihr um und half ihr über einen umgestürzten Baumstamm. »Keine Sorge«, sagte er. »Die haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte sie, hielt seine Hand fest und sprang zurück auf den Pfad. »Wohin bringst du mich?«
»Du wirst schon sehen«, sagte Soren. »Du kannst ruhig weiterreden, während wir gehen, wenn du möchtest.«
»Oh«, sagte sie und ließ den Blick weiter auf Sorens Füße vor ihr gerichtet. »Na ja. Es ist einfach nur … es ist wegen Calla.«
»Was ist mit Calla?«, fragte Soren und duckte sich unter dem niedrigen Ast einer Fichte hindurch.
»Ich denke einfach, dass es nicht richtig ist, wenn wir …«, Olivia duckte sich ebenfalls unter dem Ast hindurch, den Soren für sie nach oben gehalten hatte. »Danke. Ich meine, ich weiß auch nicht. Sie ist meine Freundin, und ich möchte ihr nicht wehtun.« Soren ging einfach weiter, folgte dem Pfad um eine Kurve. Es ging jetzt wieder bergauf, und Olivia sah sich zum ersten Mal richtig um. Sie befanden sich in einem Wäldchen mit riesigen Mammutbäumen, deren Stämme vielleicht so groß wie ein Kleinwagen waren. Soren war schon ein Stückchen vor ihr, und Olivia ließ die Hände ergeben nach unten fallen. So hatte sie sich die Unterhaltung eigentlich nicht vorgestellt.
Schließlich endete der Pfad in einer Lichtung. Sie waren auf einem riesigen Feld angekommen, in dessen Mitte eng zusammengedrängt ein Kreis von Mammutbäumen stand, davor lagen vereinzelte Felsbrocken.
Soren zog Olivia auf diese Felsbrocken und begann, von einem zum nächsten zu springen, bis sie auf einem mit einer besonders flachen, glatten Oberfläche landeten. Dort blieb er stehen und sah sich andächtig um.
»Ist das …«, fing Olivia an, verstummte jedoch, als Soren sie von hinten umarmte.
»Sch«, sagte er leise. »Schließ einfach deine Augen und lausche.«
Olivia schloss die Augen, und für einen Moment konnte sie nur das Rauschen des Blutes in ihren Ohren hören, das Pochen ihres Pulses und das Flüstern des Windes, der durch die Blätter fuhr. Doch auf einmal hörte sie es. Ein Stöhnen, wie ein unterdrückter Schrei oder das langsame Knarren einer alten Tür.
»Was war das denn?«, fragte Olivia mit jetzt weit aufgerissenen Augen.
Soren lachte und umarmte sie. »Das sind die Bäume«, erklärte er. »Sie biegen sich im Wind. Meine Mom sagt immer, so reden sie miteinander. Hör noch mal genau hin!«
Olivia schloss die Augen, diesmal lauschte sie über das Rauschen der Blätter und ihren Herzschlag hinweg. Soren hatte recht. Überall um sie herum unterhielten sich die Bäume, es war wie ein Chor im Dunkeln.
Soren wischte mit dem Ärmel über den Felsen und bedeutete Olivia, sich neben ihn zu setzen.
»Das war eine schöne Idee«, sagte Olivia und legte den Kopf auf seine Schulter, die Nase an seiner weichen Halsbeuge.
»Das war noch nicht alles«, sagte Soren, und Olivia legte den Kopf zurück, um in sein Gesicht zu sehen. Er deutete mit einer Hand zum Himmel. Olivia setzte sich auf, legte den Kopf zurück und hielt die Luft an.
Der Vollmond stand direkt über ihnen, um ihn herum, wie eine Decke aus schimmernden Lichtern, war der Himmel mit einer Million winziger Sterne übersät. Es waren zu viele, um sie auf einmal sehen zu können, viel zu viele, um ihre Konstellationen auf Anhieb zu erkennen.
»Wow«, war alles, was Olivia herausbringen konnte. Der Kloß in ihrer Kehle war wieder da, und sie wusste, wenn sie versuchte, etwas zu sagen, würde sie stattdessen anfangen zu weinen.
»Du hast gesagt, du vermisst die Sterne«, sagte Soren und lehnte sich zurück auf die Ellbogen. Olivia rutschte näher zu ihm und ließ den Kopf auf seine Brust sinken. So lagen sie da, atmeten im gleichen Rhythmus und betrachteten die Sterne, bis Soren sich räusperte.
»Ich habe dir vorhin zugehört«, erklärte er und zupfte sanft an ihren Haarlocken. »Es ist nicht so, dass es mir egal wäre. Oder dass ich es nicht verstehe. Ich … ich habe nur keine Ahnung, was ich dagegen tun soll.«
Er seufzte schwer, und Olivia konnte sein Herz unter den Rippen schlagen hören.
»Alles, was ich weiß, ist, dass ich nie vorher so empfunden habe«, sagte er. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dich zu verlieren. Aus welchem Grund auch immer.«
Olivias Herz wurde weit, und ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Sie hob den Kopf von Sorens Brust und stützte sich auf einem Ellbogen ab, kniff die Augen leicht zusammen, um Sorens
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