Drei Wunder (German Edition)
kniete auf dem Teppich in der Mitte ihres Zimmers, bis zu den Ellbogen in einer von Violets Kisten, und suchte nach dem Paar goldener Sandalen mit Keilabsatz, die sie heute Abend zur Show tragen wollte. Sie drehte sich schnell um und sah plötzlich ihre Schwester am Fenster stehen, die Arme weit ausgestreckt und ein albernes Grinsen im Gesicht.
Olivia sprang auf und rannte zu ihr, schlang die Arme um ihre Schwester und vergrub ihr Gesicht in Violets zerzausten, salzigen Haaren. »Du bist zurück!«, rief Olivia mit einem Seufzer aus. »Wie war es?«
Violet warf sich aufs Bett, ihre langen Arme und Beine ausgestreckt wie ein Seestern.
»Es war der totale Wahnsinn.« Sie seufzte. »Wir sind bis ganz hinunter zu diesen kleinen Inseln vor der Küste von L.A. gefahren. Überall waren Seelöwen, die – wie sich herausstellte – gar nicht so knuddelig sind.«
»Wirklich?«, fragte Olivia nach und versuchte, alles an Enthusiasmus aufzubringen, was sie noch hatte. Es war eine lange, anstrengende Woche gewesen, in der sie versucht hatte, mit Calla die Show vorzubereiten – die Spenden zu sammeln, die Models und die verschiedenen Outfits zu koordinieren, sich darum zu kümmern, dass das Essen und die Getränke und die Location zusammenpassten. Und Olivia hatte erst heute Nachmittag daran gedacht, ihr Kleid von Posey abzuholen. Zu allem Überfluss hatte sie kaum geschlafen, Soren wie verrückt vermisst und sich immer wieder gefragt, wann Violet endlich von ihrer Reise zurückkäme.
»Aber hallo!« Violet nickte. »Man darf ihnen zum Beispiel auf keinen Fall seine Hände hinhalten, denn sie sehen zwar niedlich aus, aber sie wollen dich trotzdem fressen.«
Olivia schaffte es, ein Lachen hervorzubringen, doch es konnte nicht sehr überzeugend gewesen sein, denn Violet setzte sich unvermittelt auf. »Verflixt!«, rief sie aus. »Die Modenschau! Ich habe ganz vergessen, dass die heute Abend ist. Wie war das Wochenende am Strand? Wie war deine Woche? Erzähl mir alles!«
Olivia lächelte unruhig, öffnete ihre Schranktür und zog die Kleiderhülle heraus, die sie heute Nachmittag von Posey bekommen und noch nicht geöffnet hatte.
»Das Wochenende hat Spaß gemacht«, sagte sie und holte das dritte Kleid heraus. Ohne groß nachzudenken, suchte sie die Öffnung in dem weichen, kühlen Stoff, stieg mit bloßen Füßen hinein und zog das Kleid hoch. »Soren war auch da. Da war es mit Calla natürlich ziemlich komisch, und deshalb hatte ich beschlossen, ihm zu sagen, dass es mit uns nichts wird. Aber dann hat er mit mir diesen unglaublichen Nachtspaziergang gemacht, und ich habe es einfach nicht fertiggebracht, also … habe ich versucht, Calla alles zu beichten, aber das hat nicht funktioniert und …«
Olivia schob die Arme durch die Träger des neuen Kleides und hörte, wie Violet scharf die Luft einsog. »Was?«, fragte Olivia und fuhr schnell mit den Händen über den glatten Stoff an ihren Hüften. »Sieht es so furchtbar aus?«
Violet sprang aus dem Bett und drehte Olivia auf dem Absatz um, damit sie sich selbst im Spiegel sehen konnte.
Diesmal war das Kleid lang und moosgrün, es fiel über ihre Knöchel und breitete sich nach unten um ihre Füße aus wie ein kleiner Waldsee. Der seidene Chiffon unterstrich perfekt den Ton von Olivias Haut, die pfirsichfarbenen Tupfer aus Sommersprossen an ihrem Schlüsselbein und ihre langen, rotblonden Locken. Die Ärmel endeten an ihren Schultern, das Dekolletee und der Rückenausschnitt waren gleich tief, und der Stoff war um die Taille leicht gerafft, so dass Olivia noch schlanker wirkte. Es war die Art von Kleid, die man auf dem roten Teppich trägt, und wieder hatte Olivia das Gefühl, sie hätte einen Schritt in einen Film hinein gemacht.
»Du siehst wie eine Prinzessin aus«, sagte Violet und schüttelte den Kopf mit einem Lächeln. »Eine Prinzessin, die einen Wunsch frei hat …«
Violet lächelte versonnen, während Olivia sich auf einen Stuhl vor den weißen Spiegeltisch setzte.
»Also …«, fragte Violet. »Irgendwelche Ideen? Und erzähl mir nicht, du hättest nicht darüber nachgedacht, denn schließlich hattest du eine ganze Woche ohne mich, also hat dich niemand abgelenkt und du musst …«
»Ich habe wirklich darüber nachgedacht«, gab Olivia leise zu und öffnete die schwarz-weiße Kosmetiktasche, die ihre Mutter vor zwei Jahren beiden Mädchen zu Weihnachten geschenkt hatte. Olivia hatte bisher kaum etwas von den Kosmetika darin benutzt, doch sie meinte,
Weitere Kostenlose Bücher