Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
dann auf die Bühne«, sagt er. »Man weiß,wer Sie sind, aber sagen Sie ruhig zu Anfang Ihren Namen und was Sie bisher gemacht haben, und vergessen Sie Frau Lascari, Ihre Mentorin, nicht. Keine Sorge, man will Ihnen wohl.« Er wirft einen kurzen Blick auf meine Stelzen und schmunzelt.
»Gibt es noch mehr, die vorsprechen?«, frage ich und lege die Hände auf meine Wangen. Ich glühe.
»Ja, aber Sie werden nicht aufeinanderstoßen. An diesem Haus nimmt man Rücksicht auf die Nerven der Bewerber und bestellt alle so geschickt nacheinander, dass keiner die anderen zu Gesicht bekommt.« Er zwinkert mir noch einmal aufmunternd zu und ist draußen.
Ich muss nicht lange warten. Ein Inspizient im blauen Kittel holt mich auf die Bühne – die Bühne des Josefstädter Theaters, Max Reinhardts Bühne! Ich gehe, als hätte ich Luft unter den Schuhen. Aufgeregt bin ich schon, das ja. Aber Angst habe ich nicht. Ich mache ja genau das, was ich immer tun wollte...
Ich stelle mich vor.
»Darf ich mit der Julia anfangen?«, frage ich dann, und von da unten kommt ein lakonisches: »Womit Sie wollen, Fräulein Lamedé.«
»Den Monolog aus dem dritten Akt?«
»Ist wohl am zweckmäßigsten. Da braucht’s keine Stichwortgeber.«
Na, die haben ja die Ruhe weg. Aber ich bin froh, dass ich die heitere, die mädchenhaft Liebende spielen darf, jene, die ungeduldig auf ihren Liebsten wartet, und nicht die Passagen, die ich, nach Felices Meinung, »mit Trauerflor« versehe.
Also gut. Ich schließe für einen Moment die Augen. Das Plateau in den Pyrenäen. Der Luftzug. Die Hand, die mir das Haar hinters Ohr streicht. Bin da, wo ich hinwill. Hilf mir, Schlomo.
(Von nun an und immer: Die Erinnerung als verlässlicher Helfer.)
Ich beginne. Julia beginnt, auf und ab zu tigern und die Sonne zu beschimpfen. »Hinab, du flammenhufiges Gespann, zu Phöbus’Wohnung! Verbreite deinen dichten Vorhang, Nacht, du Liebespflegerin!«
Bis zu der Stelle: »Komm, Nacht! Komm, Romeo, du Tag der Nacht! / Denn du wirst ruhen auf Fittichen der Nacht / Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken!«
Sie lassen mich den ganzen Monolog zu Ende spielen, unterbrechen nicht mit einem so verheerenden Satz wie: »Danke, das genügt!«. Das ist schon mal sehr gut.
Ich blinzele in den halbdunklen Saal. Der eine der Regisseure hat sich zu der Frau mit dem Männerhaarschnitt und dem Block hinübergebeugt und die schreibt eifrig. Auch Danny Goldstein kritzelt irgendetwas in ein Skizzenbuch. Der Backenbärtige und der andere junge Mann reden leise miteinander.
Dann sagt der, der eben noch mit der Frau gesprochen hat: »Haben Sie die Partie mit Frau Burgschauspielerin Lascari erarbeitet?« Ich bejahe.
»Was haben Sie uns denn noch mitgebracht, Fräulein Lamedé?« »Eine Rolle, die ich im Jüdischen Künstlertheater in Berlin gespielt habe. Die Sulamith.«
»Womit Sie auf der Bühne gestanden haben?«
(Das muss ihnen Danny Goldstein gesagt haben.)
»Ja.«
»Außerdem noch etwas?«
»Den Puck aus dem Sommernachtstraum.«
Bewegung da unten, Raunen. »Haben Sie den auch mit Ihrer verehrten Verwandten gemacht?«
»Nein, das habe ich mir selbst – also, ich habe mir selbst etwas ausgedacht.« (Das Wort »konzipiert« kommt mir zu großspurig vor.)
»Nur zu!«, tönt es vom Zuschauerraum her, und ich gehe, um mir vom Pult des Inspizienten in der Seitenbühne meine Stelzen zu holen und mich, an die Wand gelehnt, daraufzuschwingen und die Füße in die Schlaufen zu stecken. Dann stakse ich auf die Bühne, in der Hand meine imaginäre Zauberblume schwenkend, um, wie beim Training im Wohnzimmer, Balance zu halten. Ich,der Kobold, der Waldschrat, ich lege den Kopf in den Nacken, schnüffele in alle Richtungen, wie es ein Tier tut, das Witterung aufnimmt, knurre unwillig und fange an mit einem heiseren Flüstern, wie jemand, dem das Sprechen schwerfällt: »Wie ich auch den Wald durchstrich / kein Athener zeigte sich ...«, hole wieder mühsam Luft und bastele so Schritt für Schritt und Sprung für Sprung (ich werde immer waghalsiger) eine Figur, die irgendwo zwischen Tier und Mensch angesiedelt ist, ein gleichzeitig gespenstischer und komischer Waldbewohner mit Bocksfüßen.
Höre ich von da unten ein leises Lachen?
Am Ende der kleinen Szene stehe ich da und weiß nicht, wie ich von den Stelzen kommen soll – das habe ich nicht probiert vorher, habe mich immer einfach auf einen Stuhl fallen lassen. Zum Glück bietet mir der Text die Möglichkeit zu einem Abgang.
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