Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Gossentheater zurückkehrst! Schmeiß diese ... Holzstöcke weg. Aus dem Puck solch ein ... kleines Tier zu machen – pah!«
Und dann (und dass raubt Leonie vollends die Fassung) zückt sie aus ihrer Rocktasche den unvermeidlichen Lippenstift undzieht sich den Mund nach. Auf Leonie wirkt diese Geste in diesem Moment unglaublich arrogant und selbstverliebt.
»Aber so spielen sie auch in der Josefstadt!«, platzt sie heraus.
»Ach, du hast den Goldoni gesehen?« Felice schiebt den Stift zurück in die Hülle. »Eine Geschmacksverirrung, nichts weiter! Den großen Max Reinhardt muss der Teufel geritten haben. Geh da nie wieder hin, ist das klar?«
Draußen ist sie.
Ich sitze auf meinem Bett, das Kissen im Rücken, die Fußknöchel gekreuzt, und bin wütend.
Ich habe nichts begriffen? Sie begreift nichts!
Das, wo ich hinwill, ist das, vor dem sie die ganze Zeit davonläuft, in jeder Beziehung.
Der Urgrund des Theaters, der Rückgriff aufs Volkstümliche – das versteht sie nicht. Will sie nicht verstehen. Für sie ist die Bühne so etwas wie ein Kunsttempel, und was sie selbst am besten macht, das Komödiantische, das Wirklichkeitsnahe, das achtet sie gering. Sie will die weihevollen großen Gesten ...
Und die Wurzeln meiner Herkunft, die ich mit Staunen entdecke, die sind für sie nichts weiter als zähe Fußangeln, die sie am Gestern festhalten. Wieso kommt mir das so bekannt vor? Ich schließe die Augen. Beide liefern sie das gleiche Bild:
Harald Lasker, mein Vater, der Mann, der bereit war, sein Judentum im hintersten Winkel seines Bewusstseins wegzuschließen, der sich schämt, irgendwie dazuzugehören – und die große Komödiantin, die nichts mehr davon wissen will, dass sie die Tochter des armen Gewürzhändlers war, der jeden Sabbat mit »Fuego y sapor« kochte. (Und trotzdem summt sie noch die alten Lieder. Wie mein Vater.) Die durch die Gassen der Mazzesinsel lief auf der Suche nach einem besseren Leben. Für die ihre Vergangenheit nur dunkel und dreckig ist. Etwas, das man vergessen muss.
Sie malt sich die Lippen an, als wenn ihr Leben davon abhängen würde, in jedem Moment ihres Daseins eine perfekte Maske zu haben ...
Und die das Mem um den Hals trägt, weil sie es für einen Glücksbringer hält. Weiter gar nichts.
Von dieser Frau werde ich das Zeichen nie erhalten. Nicht mit ihrer Zustimmung.
Ich muss es mir holen. –
Der nächste Morgen.
Anton ist aus dem Haus, Felice auch. Keine Ahnung, wohin sie so früh gegangen sind, ob zusammen oder jeder für sich. Bestimmt wird es dauern, bis sie zurückkommen.
Ich betrete das Palais, ohne mich bei irgendjemandem zu melden. Ich höre die scharfe Stimme der Pfleiderer aus der Küche, die Antworten der beiden Frauen. Wo Joseph ist, weiß ich nicht.
Ich zögere einen kleinen Moment, lausche. Das Haus ist still bis auf diesen Wortwechsel.
Wo wird sie ihre Kostbarkeiten aufbewahren? Im Schlafzimmer wahrscheinlich.
Ich gehe weiter, durch die Flucht der Räume bis hin zu der weißgoldenen Tür, die ich schon am ersten Tag gesehen habe und durch die ich noch niemals gekommen bin. Drücke die Klinke. Unverschlossen.
Mein Herz klopft bis zum Hals.
Ein kleiner Flur, eher ein Windfang. Dahinter ein Zimmerchen, zu beiden Seiten Türen; in der Mitte ein zierlicher Schreibtisch, Rokoko.
Wohin jetzt? Nach rechts, nach links? Die Tapetentür oder die andere, größere? Das Blut rauscht mir in den Ohren. Was tue ich hier? Die Hand, die ich ausstrecke, zittert. Aufs Geratewohl öffne ich die größere Tür. Atme auf. Es ist das Schlafzimmer. Ein riesiges Bett mit einem Himmel aus feinem durchsichtigem Stoff. An den Wänden bis hoch zur Decke Schränke. Sicher ist da drin Felices Garderobe. Auf einem Sessel unordentlich hingeworfene Kleidungsstücke. Eine Frisierkommode mit einem dreiflügeligen Spiegel. Dreimal sehe ich mich selbst, ein verstört wirkendes Mädchen mit weit aufgerissenen dunklen Augen, die Lippengeöffnet, als wollte ich etwas erschnappen. Fast fürchte ich mich vor mir selbst.
Ich bin im Recht! Ich muss meine Mission erfüllen!
Die Frisierkommode hat mehrere Fächer. Im Schloss des untersten Fachs steckt ein Schlüssel. Ich beuge mich herunter (erlöst von meinem Spiegelbild), um aufzuschließen ...
»Guten Morgen, Leonie!«
Ich fahre mit einem Schrei herum, verliere dabei das Gleichgewicht, sitze am Boden.
Vor mir steht Felice im Ausgehkostüm, Hut mit Schleier auf dem Kopf. Sie ist zurück, schneller als ich dachte.
Wir sehen
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