Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Aufschrift »Rolandbühne – Witze, Scherze, Schmankerln. Unter Mitwirkung des Publikums« und fasst schon nach der Klinke, aber so viel Benehmen hat der junge Herr nun doch, dass er weiß, er ist es, der die Tür öffnen und als Erster hineingehen muss.
Das Programm läuft bereits, und die Luft ist schon jetzt, zu relativ früher Stunde, zum Schneiden. Zum Geklimper eines Klaviers singt jemand dahinten mit durchdringender Stimme so etwas wie ein Couplet und der kleine Saal klatscht den Refrain im Takt mit.
Gleich hinterm Entree ist ein Tresen, wo man auch seine Getränke in Auftrag geben kann. Da bezahlt man an eine Dame mit schaukelnden Ohrringen und schwarzer, in die Stirn frisierter Schmachtlocke seinen Eintritt und bekommt den Tisch zugewiesen. Leonie drückt Anton ihre Geldbörse in die Hand; das ist Männersache. Dann führt sie ein Livrierter, das Tablett mit ihrer Flasche und den Gläsern auf hoch erhobener Hand balancierend, an einen runden Tisch dicht bei der Bühne. »Und, bittschön, wenn gnä’ Fräulein das Hüterl abnehmen würden? Wegen der Sicht von hinten!«
»Das Hüterl« wird abgenommen, man setzt sich, es wird eingeschenkt. Natürlich hat sich der Edle von Rofrano nicht lumpen lassen und von Leonies Geld Champagner bestellt, und als Erstes kippt er ganz schnell ein Glas hinunter. Leonie hofft, dass er sich dadurch besser fühlt.
Auf der Bühne schwenken jetzt drei nur unwesentlich bekleidete Mädchen die Beine und trällern eine Operettenmelodie. Immerhin schenkt Anton den Reizen der jungen Damen Beachtung und scheint sich ein bisschen zu entspannen. Leonie besieht sich inzwischen das Publikum.
Sie hat gedacht, es wäre dem vergleichbar, was sie aus Berlin kennt. Aber das ist völlig anders hier. Im Berliner Scheunenviertel gingen die armen Leute ins Theater, vor allem die Frauen, aber auch Friseurgehilfen, Schneidergesellen und Lehrlinge aus den Kolonialwarenhandlungen. Die sind hier nicht zu finden. Vielleicht besuchen sie ja die anderen Bühnen. Dies Kabarett hier jedenfalls nicht. Zwischen den Rauchschwaden sieht sie fast nur Männer, die meisten in Hemdsärmeln und Weste, die Jacketts hängen über der Rückenlehne des Stuhls. Keiner hier wirkt ärmlich oder abgerissen. Die wenigen Damen tragen Federboas und Schmuck (etwas davon könnte vielleicht sogar echt sein, mutmaßt Leonie) und sind grell geschminkt. Sie sehen nicht aus, als wären sie die Ehefrauen dieser Herren.
Diese Herren: vollbärtig viele, und einige haben, im Gegensatz zu ihr, die Hüte durchaus nicht abgenommen. Sie sieht dunkle Gesichter, umrahmt von schwarzem Haar. Hier und da eine Brille oder ein Kneifer. Protzige Uhrketten auf der Weste. Ringe blitzen an Fingern, die dicke Zigarren halten. Wohlhabende.
Das werden Leute von den »Spaniolen« sein, den Mitgliedern der reichen Gemeinde, die hier seit Jahrhunderten ungestört Geld anhäufen konnten und so hochmütig über Gestalten wie den armen Jakuv Ben Lascari hinweggesehen haben, den Hausierer.
Weiter hinten, an den größeren Tischen, wo man nicht zu zweit oder zu viert sitzt, sondern sich Ellenbogen an Ellenbogen nebeneinandergequetscht hat, gibt es dann auch ein paar Gestalten,die sich etwas bescheidener geben. Da hocken eng beieinander diejenigen, die kein Geld für die teuren Plätze haben, und die sehen schon eher aus wie das Berliner Publikum. Sogenannte »Ostjuden«, die Aschkenasen. (Wie der Hausierer, den sie da auf der Straße getroffen hatte ...)
Die »armen Verwandten«, die sich auch einmal etwas leisten.
Stimmengewirr, Gelächter, es wird Getränk nachbestellt an den Tischen vorn. Dann wird es dunkel auf der Bühne, nur der Klavierspieler (untadliger Frack und pomadisierter Scheitel) hat noch etwas Licht. Der Scheinwerfer erfasst einen Mann im weißen Hemd, weder jung noch alt, der auf die Bühne schlendert und sich beim eifrig präludierenden Pianisten lässig ans Instrument lehnt.
Im Saal wird es still. Erwartungsvoll still. Die Letzten, die noch palavern, werden niedergezischt. Der da gehört wohl zu denen, die erwarten, dass man ihnen zuhört.
Das Klavier gibt ein Motiv vor. Leonie kennt das. Alle kennen es zurzeit. Es ist eine Melodie aus einer neuen Operette. In Berlin trällerten es die Marktfrauen und die Schuhverkäuferinnen. »Zwei Märchenaugen, wie die Sterne so schön / Zwei Märchenaugen, die ich einmal gesehn ... «
Der neben dem Klavier hebt einen Zeigefinger, »meldet sich zu Wort« und beginnt in die Stille hinein, nimmt
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