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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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er dazu, mich zu duzen?)
    Aus dem Hintergrund, beim Entree, hört man Stimmengewirr, eine Tür schlägt. Eine Störung. »Lass uns endlich hier weggehen! Merkst net, dass hier was falsch läuft?« Er macht eine knappe Handbewegung zum Eingang hin. Bestimmt will er sie nur davon abhalten, auf die Bühne zu gehen, denkt sie ungeduldig und reißt sich los. Ist ihm wohl zu peinlich, wenn sie sich hier als Jüdin unter Juden hervortut.
    Jetzt drehen einige die Köpfe zum Eingang, zischen nach Ruhe.
    Auch der Klavierspieler reckt den Hals. Er lässt alle zehn Finger über die Tasten gleiten zu einem wilden Tusch, der jäh die Stimmung ändert. Kündigt damit unmissverständlich an, dass die »Mitwirkung des Publikums« vorbei ist. Aber dass etwas, wie Anton meint, »falsch läuft«, dafür gibt es keinen Anlass. Leonie ärgert sich. Warum verpatzt er ihr die Gelegenheit?
    Der Sänger des Hauses ist sofort wieder präsent.
    Der Pianist beginnt mit einer Melodie, wie man sie vielleicht in den kleinen Weinstuben außerhalb Wiens zum Heurigen singt, walzerselig und gemütlich, und er haut auf einmal mächtig drauf, denn die Stimmen von draußen werden lauter. Jetzt wird man auf der Bühne offensichtlich nervös. Der Chansonnier setzt ein, irgendwie gehetzt, offenbar will er sein Programm retten. Bewusst krächzend und grob: »A Wiener allein, der ist oft sehr nett / Doch wenn sie zu viert sind, dann ist’s a Quartett. / A Fahn’, a Musik und a Stechschritt dazu / Dasbrauchen die Wiener, sonst geben S’ ka Ruh. / A Schoppen mit Wein, der hebt ihren Mut. / Zum Draufhaun, da fehlt ihnen nur noch der Jud.«
    Das war das falsche Lied.
    Grobe Stimmen. Polternd fliegt die Tür auf.
    Der Sänger bricht ab, er wirft einen Blick in den Saal, winkt dem Klavierspieler zu. »Meine Herrschaften«, ruft er über den anschwellenden Lärm hinweg, »ich glaub, wir bekommen Besuch. Die Herren haben, wie’s scheint, aufs Stichwort gewartet.«
    Über diesen Witz kann keiner im Saal lachen.
    Die beiden verschwinden von der Bühne. Der Scheinwerfer, der auf den Chansonnier gerichtet war, ist jetzt nur noch ein blinder Lichtfleck auf den Brettern. Jemand dreht das Saallicht an.
    Sie kommen. Sie grölen. Ihre Schritte knallen laut auf den Saalboden.
    Leonie kennt das. Sie erkennt es wieder.
    Der ziehende, pulsierende Schmerz von der Narbe an ihrem Hinterkopf – er kriecht ihre Wirbelsäule entlang, bis hinunter in ihr Becken. Als habe ihr jemand eine Nadel aus Eis in den Rücken eingeführt, von oben bis unten.
    Dieser Tonfall, dieses Gebrüll. Auf Berlinisch oder auf Wienerisch, das ist eins. Wie in der Vorstellung des »Bar Kochba«, des jüdischen Freiheitsstücks, als sie damals in Berlin eingedrungen sind und sie gezwungen haben, den Vorhang zu senken.
    Die Männer in den braunen Uniformen belegen ungeniert die ersten Reihen mit Beschlag, ohne Rücksicht auf die Besucher. Die Stiefel, die Armbinden mit dem Hakenkreuz.
    Sie da oben auf der Bühne quälen sich unter Gejohl, Geschrei, unflätigen Zwischenrufen und Gelächter durch die ersten Bilder. Jedes Mal, wenn auf der Bühne das Wort »Jude« fällt, rülpst jemand da unten oder ruft: »Hepp, hepp!«
    Damit fing es an. Ja, sie weiß es. Das war der Anfang vom Ende. Schlomo spielt, als ginge es um sein Leben. Der Sternensohn, umgeben von seinen Kriegern, im purpurnen Feldherrnmantel, hinter ihm die Standarten mit dem Davidsstern. Er geht an die Rampe, spielt sie an, die Randalierer da unten: »Strenges Gericht verlang ich gegen euch Räuber und Mörder ... «
    Leonie beginnt zu zittern, hier und jetzt.
    Schlomo, von einem Stein getroffen, wie er seine blutende Stirnbinde gegen die Schläfe presst. Blutend schon damals.
    Und im Zuschauerraum sangen sie »Licht aus, Messer raus ... «. Was singen die hier? Noch singen sie nichts.
    Im Saal ist es totenstill, bis auf die Schritte. Die groben Schritte in genagelten Schuhen kommen näher, bahnen sich rücksichtslos ihren Weg zwischen den Tischen hindurch zu der kleinen Bühne. Glas fällt herunter, eine Frau kreischt kurz auf.
    Sie sind da. Sie tragen alte Heeresuniformen mit weiß-grünen Armbinden und Feldmützen mit Federn, halb Jäger, halb Schläger. Haben sie Schusswaffen? Wer weiß. Sie sieht nur die derben Knotenstöcke, die sie in den Händen tragen.
    Kein Schützenverein also ...
    »Anton, wer sind die?«, flüstert sie mit erstickter Stimme.
    »Die Heimwehr«, murmelt er, ohne die Lippen zu bewegen. »Warum sind wir bloß nicht früher

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