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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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merkwürdiges Miteinander, das irgendwie gar nichts mit Kabarett zu tun hat ...
    Applaus. Der jungen Frau wird auf den Wink eines der Herrenaus den vorderen Reihen ein Getränk spendiert. Sie dankt und setzt sich zurück in das Dunkel.
    Es folgen zwei junge Männer mit Schläfenlocken. Sie tragen die Kippa, das Käppchen, das gläubige Juden stets auf dem Kopf haben. Weiße Hemden mit weiten Ärmeln, bunt bestickte Westen, Stiefel an den Füßen. Für Leonie wirken sie sehr – exotisch. Und exotisch ist auch, was sie machen. Sie tanzen nämlich ohne Musikbegleitung.
    Stehen einen Moment still, als würden sie auf eine Musik in sich selbst lauschen. Dann beginnen sie langsam, sich um die eigene Achse zu drehen, beide im Gleichklang, vollkommen identisch in ihren Bewegungen, ohne sich zu berühren, ohne sich anzusehen. Sie neigen ihre Köpfe, schließen die Augen wie träumend. Dann heben sie die Ellenbogen in Schulterhöhe, als seien es Flügel, balancieren auf den Zehen, schnalzen beide gleichzeitig mit den Fingern. Sie biegen eine Hand zurück zum Körper, scheinen in sich hineinzulauschen, verharren abrupt, beugen das Knie. Weit ausholend, streicheln sie mit den Händen den Fußboden. Stehen auf. Drehen sich noch einmal um sich selbst, die Arme ausgebreitet. Dann, so jäh, wie sie ihren Tanz begonnen haben, enden sie und gehen von der Bühne, ohne den Beifall abzuwarten.
    Leonie ist wie verzaubert. Sie hat so etwas noch nie gesehen, und es schien ihr bisher unmöglich, dass zwei Menschen, ohne von Musik geführt zu werden, etwas so genau im gleichen Rhythmus machen können.
    Ihr ist, als wenn auch ein Hauch aus fernster Vergangenheit sie angeweht hätte bei diesem Tanz, diesem Vorzeigen von Gemeinsamkeit und Miteinander. Im Leid und im Stolz. Vielleicht, fragt sie sich aufgewühlt, vielleicht haben sie ja so getanzt, als sie in Jerusalem lebten vor Tausenden von Jahren. Nun tanzen sie hier, so wie einst. Und in der Zukunft ... Fremd und vertraut zugleich kommt es ihr vor.
    Aber sie hat keine Zeit, der Sache länger nachzuhängen. Es geht weiter.
    Der Nächste aus dem Publikum ist ein junger Mann, Hut auf dem Kopf, Bart, langer Mantel, goldene Uhrkette. Die Verabredung mit dem Klavierspieler. Dann eine helle, zärtliche Stimme; diese fremdartige Intonation, die Sprache: »Ven querida, ven amada ... «
    Leonie versteht nicht, was er singt, aber es muss Ladino sein. Es ist Ladino!
    Die Sprache, in der sie ein einziges Lied kann. Das Lied, das ihr Vater beim Kochen gesummt hat, ohne den Text zu kennen. Das Lied, zu dem Isabelle und Gaston getanzt haben damals in den Pyrenäen, als sie das erste Mal dort war. Der melodische Klang dieser Sprache, der sie verzaubert.
    Das Hochplateau. Die Sternennacht. Das Zirpen der Grillen, das Knistern des Feuers, über dem Fleisch gebraten wird.
    Das Grammophon wird aufgezogen, und die beiden alten Leute drehen sich im Kreis, in verschlungenen Figuren, halb Tango, halb Flamenco, will ihr scheinen.
    Avram avinu, padre querido, padre bendicho, luz de Israel.« Abraham unser geliebter Vater, unser gesegneter Vater, Licht von Israel.
    Ein frommes Lied und doch ein heiteres Lied.
    » Was ist das für ein Lied?«, fragt sie, und Isabelle sieht sie mit großen glücklichen Augen an: »Du kennst es?«
    Damals wurde ihr gezeigt, dass sie dazugehörte. Dass sie eine Lasker war. Dass sie eine Jüdin war.
    Wie ging doch der Text weiter: Ich sehe ein heiliges Licht ... Vido una luz santa / en la giuderia / que havia de nacer / Avram avinu. Ich sehe ein heiliges Licht in der Judenheit, weil geboren wurde unser Vater Abraham.
    Das Lied, das sie mit Schlomo in der Küche gesungen hat. Als wir uns küssten ...
    Sie weiß, sie kann dies Lied. Wenn sie von da oben, von der Bühne, die exotische Melodie hört ... , dann ist sie mit Haut und Haar und bis in die Fingerspitzen erfüllt von dem Verlangen, ebenfalls dort zu stehen und zu singen. Und dazu zu gehören. Hier auch.
    Als der da oben endet, als der Applaus einsetzt, da ist sie so weit. Da ist kein Halten mehr. Sie wird gleich aufspringen, auf diese Bühne laufen und das alte Lied vortragen. Avram avinu!
    Sie ist schon auf dem Sprung, stemmt sich mit den Händen auf die Tischplatte und erhebt sich von ihrem Stuhl.
    Eine Hand packt sie am Arm, zieht sie herunter. Jemand sagt dicht an ihrem Ohr: »Untersteh dich!«
    Anton. Sie hatte völlig vergessen, dass er neben ihr sitzt. War allzu gefangen von dem, was sich hier im Saal entwickelte. (Wie kommt

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