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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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weiches dunkelgrünes Leder gebunden, Papier so hauchdünn wie Seide, fast durchsichtig; und natürlich, wie sollte es anders sein, ist der Band, den sie zuerst aufschlägt, der mit »Romeo und Julia«.
    Ausgerechnet das.
    Romeo und Julia, das klassische Liebespaar, das nicht zusammenkommen kann wegen der Verschiedenheit der Elternhäuser und deren Liebe tragisch endet ... darin haben sie sich gespiegelt, Schlomo und Leonie, haben sich gesehen als die Liebenden aus den verfeindeten Familien, denn auch ihre Elternhäuser lebten ja in Feindschaft miteinander: Der Koch Harald Lasker, der alles was Jüdisch war, ablehnte und nicht einmal wissen durfte, dass seine Tochter mit den anderen Verwandten Umgang hatte, der jüdischen Komödiantenfamilie, die, um sich von diesem Lasker abzugrenzen, sich in Laskarow umbenannt hatte. Und sie beide waren schließlich sicher, aus eigener Kraft dergleichen überwindenzu können und miteinander glücklich zu werden, anders als die Helden des Stücks. –
    Es war in jener Nacht, sie beide entkommen dem Mob, der Juden gejagt hatte im Berliner Scheunenviertel, sie beide das erste Mal zusammen zwischen den nach Mottenpulver riechenden Kleidungsstücken des dunklen Theatermagazins, in das sie geflüchtet waren. Zitternd vor Angst und Liebe. Und dann, später, in der Garderobe. Sie saß auf seinem Schoß.
    »Nimm Platz, Duschenju, meine Seele, mein Leben.«
    Ihrer beider Gesichter nebeneinander im Spiegel.
    »Und Romeo und Julia?«, fragt sie. »Und die Familien?«
    Und er erwidert: »Das ist mir so was von egal ... «
    Und dann lag »Romeo« in seinem Blut auf dem Pflaster der Straße und streckte ihr den Beutel mit dem goldenen Taw hin und sagte »Nimm mal« und brachte es nicht einmal fertig, das Familienmotto ganz zu Ende zu sprechen. Con el pie derecho y ...
    Leonie stellt den Band zurück zwischen die anderen. Ihre Hände zittern. Sie ordnet die Buchrücken so akkurat, dass man nicht sieht, an welcher Stelle sie etwas herausgezogen hat. Damit es ihr nicht wieder vor Augen kommt. Shakespeare ja. Aber nicht dies Stück.
    Ihr ist kalt.
    Gerade wächst ein hauchdünner Schorf über die Wunde, da reißt eine brutale Hand alles wieder ab.
    Sie rennt aus der Bibliothek, zurück in ihr Zimmer, als wäre ihr jemand auf den Fersen, und wirft sich bäuchlings auf das Bett. Es ist ein Anfall von panischem Entsetzen, als würde sie diese Sekunden noch einmal erleben. Einmal und immer wieder. Wie ein Zwang.
    Er strebt auf sie zu, sein Mantel weht um ihn, sein Haar bewegt sich, seine Augen strahlen. Dann der Schuss. Die Hand, die er zur Brust führt, genauso wie in dem Volksstück, in dem er den jüdischen Helden, den Sternensohn Bar Kochba, spielt: »Solange warm das Blut mir in den Adern fließt ... «
    Sie liegt mit geschlossenen Augen, versucht, das Grauen wegzuatmen.
    »Hilf mir. Hilf mir, Sternensohn«, flüstert sie. »Hilf mir, Schlomo, mein Liebster.«
    Irgendein Hauch weht über sie weg . Sie muss das Fenster wohl einen Spalt offen gelassen haben. –
    Es dauert ein paar Tage, bis sie sich wieder gefangen hat und weiß: Trotzdem, es ist das Theater. Theater wird sie retten, wird ihr helfen.
    Sie muss zurückgehen in die Bibliothek. Muss anfangen, sich um eine Rolle zu kümmern. Bald wird Frühling sein, sie wird aufbrechen müssen nach Wien und ihrer berühmten Verwandten vorspielen. Und erneut wird sie die Bibliothek betreten, doch diesmal den Zufall entscheiden lassen, welche Rolle aus welchem Shakespeare-Stück sie studieren soll. Wird sich mit geschlossenen Augen vor die Zeile der Bücher hinstellen und dann ihre Hand vorschicken, und dabei bleibt’s dann. (Sie hofft, es ist vielleicht der »Sturm«, da wäre die junge Miranda eine Partie nach ihrem Geschmack.)
    Aber es ist wieder »Romeo und Julia«.
    Dann muss es wohl sein. –
    In dieser Nacht sucht sie ein Traum heim.
    Bisher hatte sich ihre verwundete Seele hartnäckig geweigert, die Phantome des Schlafs in den Zustand des Wachseins hinüberzuholen. Da war immer nur so eine Ahnung gewesen, wie eine flüchtige Anwesenheit von etwas, das nicht mehr da war.
    Nun zum ersten Mal seit langer Zeit erwacht sie und die Bilder der Nacht sind noch gegenwärtig.
    Der Traum hat sie in die heimische Küche in Berlin-Neukölln geführt und ihr gegenüber sitzt ihr Vater. (Für Leonie ist ganz und gar unverständlich, warum sie gerade diesen Traum hatte. Zorn und Wut und Traurigkeit, das waren die Gefühle, die sie mit diesem Ort und diesem

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