Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Menschen zuletzt verbanden.)
Noch immer war war sie nicht in der Lage gewesen, Isabelle und Gaston zu erzählen, was sich zwischen ihm und ihr zugetragen hatte.
Und nun das. Dieser Traum. Er, Harald Lasker, wie er leibt und lebt, bis auf die schnell sprießenden Bartstoppeln im bräunlichen Gesicht, er sitzt ihr gegenüber am Küchentisch, wie es früher war, wenn er von seiner Arbeit im Restaurant am Savignyplatz nach Haus kam, und lässt sich von ihr berichten, was sie den ganzen Tag getrieben hat.
»Ich habe gerade eine große Rolle im Jüdischen Theater meines Onkels Laskarow übernommen«, sagte da die Traum-Leonie und wundert sich nun, aufgewacht, über ihre Kühnheit, denn hätte sie nicht damit rechnen müssen, dass er sie sofort aus dem Haus wirft, wenn er das hört?
Aber der Vater, der im Traum, nickt, als wäre das selbstverständlich. »Dann müssen wir wohl noch einmal die Tanzschritte durchgehen!«, sagt er mit der Nicht-Logik des Traums, aber das erscheint ihr, Leonie, als das absolut Richtige.
Sie schieben also den Tisch beiseite – er scheint gar kein Gewicht zu haben –, damit genug Platz ist fürs Üben, und Harald Lasker steht auf, um sich mit seiner Tochter in Position zu begeben, eine Hand auf der Hüfte, die andere hält ausgestreckt ihre Rechte, sein Gesicht ist dicht vor ihr, er lächelt sie an, und Leonie ist so froh wie schon lange nicht mehr durch seine Gegenwart; alles ist gut – und ist er nicht gleichzeitig auch jemand anderes ... Jemand am Jüdischen Theater meines Onkels ...
Und so ist sie denn wach, denkt diesem Traum hinterher und weiß nun, dass sie auf alle Fälle diese Rolle, die Julia, einstudieren muss.
Das mit den Familien scheint sich ja für sie in der Traumdimension geklärt zu haben, da im Unbewussten. Da scheint die Harmonie zwischen den so gründlich verfeindeten Sippen bereits hergestellt zu sein ...
Wenn es nur so einfach wäre.
Ich habe gedacht, es sei ein guter Traum. Weil das Gefühl gut war, mit dem ich aufwachte. Aber plötzlich verkehrt sich dies Gefühl ins Gegenteil.
Ich bin aufgestanden, und halb angezogen sehe ich mich im Spiegel, meine dunklen Augen, meine hohen Wangenknochen, meine vollen Lippen, meine ganze offensichtliche »Jüdischkeit«. Wenn mein Vater jetzt hinter mir stünde ... Sein männliches, sein braunes Gesicht mit den dichten Augenbrauen und der kraftvollen Nase neben dem meinen. Was sagte er einmal über einen Bewerber, der ihm eine Stelle im letzten Moment weggeschnappt hatte? »Die semitische Fresse.« Wir, lieber Vater, haben beide eine semitische Fresse.
Auf einmal habe ich einen Druck auf dem Magen, als hätte ich etwas Falsches gegessen.
Ich gehe weg von diesem Spiegel, lasse mich wieder aufs Bett fallen, krümme mich zusammen, umschlinge meine Knie mit den Armen.
Es ist ein gottverdammter Traum gewesen. Ein Traum wie eine Frucht mit bitterem Nachgeschmack. Er hat alles, alles in mir nach oben gespült.
Mein Vater. Der Frontkämpfer, der aus einem verlorenen Krieg nach Haus kam und jemanden suchte, der schuld daran war, dass er und alle anderen so am Boden lagen. Der Mann, der fand, dass »die Juden Deutschlands Unglück waren«.
Ich hatte mir versagt, an ihn zu denken, die ganze Zeit.
Hatte mir versagt, mir die Ungeheuerlichkeit vor Augen zu führen. Mein Vater, ein Verleugner seiner Herkunft. Ein Mann, der das Judentum verabscheute, mit Leidenschaft dagegen ankämpfte, irgendetwas damit zu tun zu haben. Der sich entsetzte vor der Fremdheit der Ostjuden, der Aschkenasen, die aus Polen und Russland geflohen waren vor Armut und Verfolgung und in Berlin dicht an dicht das Scheunenviertel besiedelten, die Jiddisch sprachen, eine Sprache, die mit dem Deutschen verwandt ist, denn schließlich hatten diese Menschen einst in Deutschland Heimstatt gefunden, bis man sie von da in den Osten vertrieb. Nun waren sie zurück ... Mein Vater, ein Mann, der auch die reichen, die angepassten Juden verachtete als die »Blutsauger am Volkskörper«.
Eine unselige Verblendung.
Und während ich hier liege, zusammengerollt wie ein Tier, das sich vor Verletzungen schützen will – da weiß ich, dass er, er allein eigentlich der Grund war für alles, was geschehen ist. Für das Gute wie das Schlimme. Aber vor allem das Schlimme.
Ach, Vater, wie sehr habe ich dich geliebt. Nach dem allzu frühen Tod der Mutter hast du mich aufgezogen. Wie habe ich dich bewundert in deiner Küche am Savignyplatz, wo du, ein Koch der Extraklasse, schalten
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