Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Madonnenbildern gesehen.
Diese Frau auf dem Gemälde hier trägt ein glatt fallendes Kleid ohne jede Verzierung in einer Farbe wie geräucherter Lachs, und das, was Isabelle sich in Perlen um den Hals schlingt, trägt diese hier in Korallen. Ihre Hand hängt auf eine Weise herab, die ich affektiert nennen würde, wenn es nicht zu respektlos wäre, und die sehr langen Finger halten lässig eine Rose.
Und ihr Gesicht?
Über einem schlanken gebogenen Hals ein schmales, langnasiges Antlitz. Darin ein üppig breiter Mund. Diese Wangenknochen – die habe ich doch auch. Ich und Isabelle. Aber die Augen ... Warum guckt sie einen denn so überaus abfällig an, als wollte sie dem Betrachter von vornherein erklären, dass er ihr nicht das Wasser reichen könnte? Der Maler hat ihr über den dunkelbraunen Augensternen Lider gegeben, die fast durchsichtig wirken, bläulich, porzellanfarben, und Brauen, so dünn wie die Mond sichel im ersten Viertel. Ihr Haar ist braun wie meins und fast genauso kurz, nur dass ihr eine sorgfältig arrangierte Locke in die Stirn fällt.
Felice Lascari ist schön, aber das war ja zu erwarten. Hoffentlich ist mit ihr auch gut Kirschenessen ...
Ein bisschen beklommen ist mir schon angesichts dieses Porträts.
Ich frage mich: Ist da eine Familienähnlichkeit vorhanden?
Ja, sicher. Bloß wird sie hoffentlich nie derart von oben herab in die Welt blicken ...
Die Tür zum nächsten Zimmer ist nur angelehnt – das scheint ja eine ganze Flucht von Räumen zu sein! Wenn ich nun schon einmal dabei bin: Es gibt wirklich keinen Grund, nicht einen Blick auch in dieses Zimmer nebenan zu werfen. Nur um festzustellen, ob da auch so viel Gold ist ...
Ein Erkerzimmer. Nicht ganz so pompös. Statt schwerer Vorhänge luftige Gardinen. An den Wänden, auf der gemusterten Tapete, alte Stiche. Und die Möbel schlichter. Von hallendem Parkett bin ich wieder auf weichen Teppich übergegangen.
Ich sehe mich um – und kriege einen mächtigen Schrecken, denn ich bin nicht allein in diesem Zimmer. In der Ecke, im toten Winkel, steht so etwas wie ein übergroßer blassroter Sessel. Jemand liegt darauf und schläft am helllichten Tage, zusammengerollt wie ein junger Hund. Ein junger Mann, helle Hose, weißes Hemd, nackte Füße, Gesicht zur Rückenlehne des Möbelstücks.
Ich fühle, ich habe mich danebenbenommen, und glaube, ich bin schrecklich fehl am Platze. Offenbar hat niemand damit gerechnet, dass ich den Empfangssalon verlassen und herumstöbern würde! Am besten, ich ziehe mich Schritt für Schritt zurück, auf dem dicken Teppich hört man ja hoffentlich nichts.
Schon habe ich zwei, drei Schritte im Krebsgang getan, als mein Blick auf ein paar Bücher fällt, die vor dem Sessel am Boden liegen, zwei davon aufgeschlagen und mit den Seiten nach unten. So geht man doch nicht mit Büchern um! Bücher sind etwas Kostbares. So etwas kann ich nicht mit ansehen.
Ich zögere noch einen Moment. Aber dann gehe ich los, hocke mich hin und gebe den misshandelten Büchern ihre Würde zurück,glätte ein paar zerknitterte Seiten und schlage sie vorsichtig zu, um sie dann zu einem Wandregal zu bringen, das eine Nische ziert.
Natürlich gucke ich mir zuvor an, was ich da in der Hand halte. Interessante Lektüre. Neue Stücke, wirklich das Allerneueste! Von Arthur Schnitzler, von Carl Zuckmayer habe ich schon gehört, auch von Strindberg. Dann »Mord in der Mohrengasse« von einem gewissen Horvath, gerade erschienen. Die muss ich mir ausleihen, vielleicht sind Rollen für mich dabei!
Während ich die Bücher ordentlich übereinanderschichte, regt sich der Schläfer auf dem Sessel, dreht sich um, öffnet die Augen und guckt mich an, wie man eben so guckt, wenn man gerade aufwacht – ohne etwas mitzubekommen.
Schnell stelle ich die Bücher ein und sage hastig: »Bitte erschrecken Sie nicht! Ich wollte Sie nicht stören. Ich habe nur diese Bücher hier in Ordnung gebracht. Ich bin Leonie Lasker, eine Verwandte von Frau Lascari und ... «
Der junge Mann gähnt ausführlich und reibt sich die Augen. Dann, blitzschnell, als habe man einen Schalter umgelegt, schwingt er seine nackten Füße vom Sitz, steht auf und verbeugt sich auf eine Art, die sich auch auf dem Theater gut machen würde. Er murmelt einen Namen, den ich nicht verstehe, und streckt mir dann die Hand entgegen. (Ich sehe, dass seine Fingernägel abgekaut sind bis aufs Fleisch.) »Ich hoffe, wir werden miteinander auskommen, Fräulein Lasker.«
Wer mag das sein?
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