Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Aber immerhin: Da gibt es einen Lichtschalter und von der Decke hängt eine nackte Glühbirne an einer Schnur herab. Keine zwanzig Schritte ist dieser Gang lang, dann ist man an einer anderen Tür, massives dunkles Holz. Bestimmt geht’s da zur Küche.
Ihr zuckt es in den Fingern, auch hier einmal kurz auszuprobieren, ob offen ist. Aber vielleicht sollte man nicht alles auf einmal wollen. Wenn sich hinter dieser Tür da gerade Leute aufhalten, möchte sie nicht unbedingt gleich an ihrem ersten Tag als Schlossgespenst auftreten ...
Leidlich zufrieden geht sie zurück, verzichtet darauf, die Flurgarderobe wieder an den angestammten Platz zu stellen, denn sie ist sich ziemlich sicher, dass keiner hier nachschaut, streift sich die Schuhe ab, wäscht sich danach gründlich (warmes Wasser gibt’s!) und legt sich für einen Moment aufs Bett. Nachher, das hat sie sich vorgenommen, will sie ein bisschen die Stadt erkunden, zumindest erst einmal die nähere Umgebung des Hauses, denn wie es aussieht, hat man ja hier nicht vor, sie heute noch »hereinzubitten«, um sie kennenzulernen.
So viele neue Eindrücke. Alles so fremd. So anders als erwartet.Aber was hat sie erwartet? Dass Felice Lascari sie in die Arme schließt – diese Frau auf dem Gemälde mit dem Blick von oben herab?
Sie ist müde.
Kurz bevor sie völlig einschläft, taucht vor ihren Augen noch einmal das Bild von vorhin auf, als sie hergebracht wurde: Da hält der Kutscher fluchend die Pferde an, und der Mann, der den Hut, die Tasche und den Anzug ihres Vaters trägt und sich außerdem wie er bewegt, geistert über die in den Tiefen des Schlafs verschwimmende Straße.
5
»Du hast sie also schon gesehen?«, fragt die Schauspielerin.
Sie hat das Gesicht mit irgendeiner straffenden Maske eingeschmiert und das Ganze mit einem Tuch abgedeckt. So liegt sie auf dem Ruhebett in einem Raum, der halb Bad, halb Ankleide ist, hat die Arme hinterm Kopf verschränkt, die Beine leicht angehoben und dreht die Fußgelenke.
»Was machst du da?«, fragt der junge Mann statt einer Antwort und starrt auf die schlanken, doch muskulösen Waden der Frau. »Neuerdings erleb ich dich immer nur, wenn du irgendetwas mit dir anstellst, was deiner Schönheit dient. Für mich bist du schön genug.«
»Das ist nun mal berufsbedingt«, kommt es unter dem Tuch hervor. »Aber ich hab dich was gefragt.«
»Ja«, sagt Anton Rofrano und kippelt mit dem Stuhl, auf dem er sitzt. »Stell dir vor, sie kam einfach hereinspaziert, während ich Siesta hielt. Stand auf einmal vor mir.«
»Und starrte dich an?«
»Nein. Sie hat die Bücher geordnet, die am Fußboden lagen.« »Seltsam. Und was hat sie gesagt?«
»Sich entschuldigt. Und dann hat sie angefangen herumzustochern, wer ich bin.« Er kichert.
»Verständlich«, kommentiert Felice trocken. »Und sonst? Du musst doch einen Eindruck haben!«
»Also eine Landpomeranze ist die nicht, unsere kleine Berlinerin. Wir werden uns anstrengen müssen.«
»Hm.«
»Und sie ist ziemlich hübsch«, sagt er. »Sie ist sogar – sehr hübsch. Und sie hat die Haare kurz. Noch kürzer als du.«
»Na, das ist ja eine erschöpfende Auskunft«, bemerkt Felice unzufrieden. Sie richtet sich auf und zieht sich mit einer raschen Bewegung das Tuch vom Gesicht. Anton prustet los.
»Was gibt es da zu lachen?«
»Mit deiner Kräutermaske siehst du aus wie ein Waldgeist.« »Hör zu, Schätzchen. Verärgere mich nicht! Sag mir, wie sie auf dich wirkt.«
»Wie sie auf mich wirkt? Angenehm wirkt sie auf mich. Schöne Figur. Und Augen hat sie – fast wie du. Dunkle Judenweiberkirschen augen.«
»Werd nicht unverschämt.«
»Augen, wie ich sie liebe.«
»Du gerätst bitte nicht ins Schwärmen, ja?«, sagt die Schauspielerin scharf. Dann versöhnlich: »Komm, lass uns mit unserem Pygmalionspiel weitermachen. Heute Abend erster Akt: Wir schicken sie in meine Vorstellung – wieder per eigener Kutsche, versteht sich, damit sie mal sieht, wie’s bei uns zugeht. Und dann kann sie ihre künftige Lehrerin in Aktion auf der Bühne bewundern. Anschließend geh ich mit ihr essen.«
»Und ich?«
»Du bleibst für diesmal noch zu Hause, Flusch. Ich möchte nicht, dass sie abgelenkt wird durch deinen Charme.«
Anton schneidet eine komische Grimasse. »Ich will mitspielen, wenn ich denn schon eine Rolle haben soll!«
»Bald. Ganz bald. Du zeigst ihr Wien. Spielst den noblen Fremdenführer. Jetzt zieh mal den Klingelzug und gib die Anweisungen; bestell’ den Kutscher
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