Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
großflächige steinerne Blumenornamente ranken sich um Fensterstürze. Keine Ecke, die nicht verziert ist. Alles in Weiß und Gold – und hin und wieder dann doch eine Lücke, ein Durchblick in grünende Gärten, die sich geheimnisvoll nach hinten ausbreiten.
Inzwischen merkt Leonie, dass ein Pferdegespann hier überhaupt nichts Besonderes ist. Ständig klappern Hufe auf dem Pflaster. Immer wieder kommen ihnen Kutschen entgegen, überholen sie, kreuzen den Weg. Die Männer auf dem Bock grüßen einander gemessen mit der Peitsche. Allerdings sind die anderen nicht in solche altmodischen Livreen gekleidet, sondern tragen dunkle Radmäntel und runde Hüte.
Das Gespann biegt um eine Ecke und der Mann, der kutschiert, zieht fluchend die Zügel an. Die Pferde bäumen sich auf und steigen schnaubend.
Der Grund: Ein Passant überquert die Fahrbahn, ohne nach rechts oder links zu schauen. Er scheint nicht erschrocken, beschleunigt den Schritt nicht, sieht sich nicht um zu der Kutsche, geht einfach ungerührt seines Weges. Und Leonie, den Hals gerecktnach diesem Störenfried, durchfährt es wie ein Schlag. Unwillkürlich gibt sie ihre lässige Haltung auf, klammert sich am Sitz fest. Dieser korrekte Anzug, dieser Filzhut, die Aktentasche unterm Arm, der Gang, die Statur – der Passant sieht aus, als wenn es ... ihr Vater wäre. Genauso wie er zuletzt durch ihren Wachtraum gegangen ist, als sie in Perpignan im Krankenhaus lag ...
Aber das ist natürlich blühender Unsinn. Ihr Vater hat nun wirklich nichts in Wien zu schaffen. Ihr Vater ist in Berlin. Vielleicht gibt es demnächst ein Restaurant, wo er wieder kochen darf...
Ihr Vater in Wien! Nein. Leonie atmet tief aus. Ihre Augen haben ihr einen Streich gespielt, und das alles war nur – irgendjemand, dessentwegen der Kutscher schließlich sein Gespann stoppen musste.
Sie verdreht und verrenkt sich, schaut nach rechts und nach links aus dem Wagen. Der Mann ist weg. Wie vom Erdboden verschluckt.
Ruhig Blut, redet sie sich selbst zu. Es gibt doch überhaupt keinen Grund, warum in dieser Stadt nicht ein Mensch herumlaufen soll, der sich ähnlich kleidet und sich ähnlich bewegt wie Harald Lasker!
Trotzdem. Sie fühlt ihr Herz bis zum Hals klopfen.
Wegen dieses »Zwischenfalls« hat sie nicht mehr drauf geachtet, wo man entlanggefahren ist. Weit vom Bahnhof kann es noch nicht sein. Leonie hat das Gefühl, nicht mehr als eine Viertelstunde sei seit ihrer Ankunft vergangen – aber nun biegt das Fuhrwerk bereits von der Straße ab und der Mann auf dem Bock fädelt es geschickt durch ein großes offenes Tor. Hinein in einen dieser Stadtpaläste mit den geheimnisvollen Gärten also! Aufregend. Die Räder rollen über hellen Kies und schließlich wird angehalten.
Eine üppige Fassade, Eingang mit Freitreppe in der Mitte des lang gestreckten Gebäudes. Das Haus – oder sollte man besser sagen: das Palais? – entfaltet seinen Prunk erst hier; das, was nach vorn zur Straße zu sehen war an schwungvoll verziertem Mauerwerk,an Fenstern mit gewölbten Bögen, an Balkonen in durchbrochenem Sandstein und vergoldeten Putten, das war nur die Giebelseite. Hier, an der Freitreppe, die flankiert wird von Lorbeerbäumchen in Terrakottaküb eln, an der breiten zweiflügeligen Tür aus dunklem Holz mit den geschliffenen Glaseinsätzen oben, hier geht’s erst richtig los.
Leonie kennt ja einiges. Hermeneau ist wirklich großzügig, und das Wohnhaus am Spittelmarkt, das Domizil der Laskarows, war auch nicht ohne Eleganz. Aber so etwas wie das ...
Und dann zuckt ihr der Gedanke durch den Kopf: Wie um Himmels willen soll ich denn in diesem Palast einen goldenen Buchstaben finden – wenn er denn hier ist?
Der Schlag wird vom Kutscher geöffnet, sie steigt mit Schwung aus und versucht, möglichst unbefangen zu wirken. Gleich wird ihre Tante, die große Felice Lascari, vor ihr erscheinen.
Die Tür öffnet sich. Aber da ist keine Felice Lascari. Im Türrahmen steht eine dünne ältere Dame mit weißer Haube und weißer Schürze überm langen schwarzen Kleid und knickst vor ihr, dass sich die Röcke bauschen.
»Grüß Gott, gnä’ Fräulein! Ich bin Frau Pfleiderer, die Haushälterin. Herzlich willkommen in Wien. Ich hoffe, Sie haben die Reise gut überstanden.«
»Danke, ja«, sagt sie und begreift, dass sie sich wohl nun daran gewöhnen muss, dass man hier Gott grüßt, wenn man Guten Tag sagen will.
»Wenn ich gnä’ Fräulein dann ins Empfangszimmer bitten dürfte? Eine kleine
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