Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
noch. Als junger Mann war er selbst in einer Spielgruppe gewesen; er las viel, er verstand die Gier der Tochter nach der Bühne, war auch bereit, wenn es irgend ging, ihr eine Ausbildung zu ermöglichen, wenn sie die Mittelschule abgeschlossen hatte.
Doch dann kam das nächste Unglück.
Das Restaurant am Savignyplatz, das Harald Lasker dank seiner ungewöhnlichen Kreationen am Herd berühmt gemacht hatte, muss te schließen. Pleite. Aus der Traum. Kaum Geld für das Nötigste, an einen Schauspielunterricht war gar nicht zu denken. Seit Monaten nun ist der Spitzenkoch Harald Lasker arbeitslos.
Sie mussten ihre Wohnung in Berlin Mitte, Holzmarktstraße, aufgeben, zogen hierher nach Neukölln, auf den schäbigen Hinterhof, zwei winzige Zimmer, Küche, kein Bad. Und für die Tochter richtete er diese Speisekammer ein ...
Lasker dreht sich unruhig von einer Seite auf die andere. Diese Reise!
Die aus dem Nichts aufgetauchten Verwandten beunruhigen ihn. Da könnten Dinge zur Sprache kommen, die vergessen gehören. Für ihn und für Leonie.
Zwar heißt der Mann, der den Brief geschrieben hat, ganz klassisch französisch Lecomte. Und die Frau – offenbar ist sie wohl nicht mit ihm verheiratet – hat ihren Familiennamen ins Französische gewandelt: Laskère. Das kann natürlich heißen, dass sie an ir gendwelchen ... Dingen hängt. Aber wahrscheinlich sind die alten Geschichten bei diesen Leuten ja auch inzwischen ausgestanden. Jeder Mensch mit ein bisschen Vernunft versucht heute, Bürger seines Landes zu sein und nichts weiter. Und sein, Haralds, liebes Mädchen muss einmal etwas von der Welt sehen. Auch wenn’s ins Land des Feindes geht, des Erbfeinds, in das Land, das seinen besiegten Nachbarn nun so unerbittlich weißbluten lässt, indem es immer weitere Kriegsentschädigungen aus dem erschöpften Deutschland herauspresst.
Ja, er macht sich Sorgen. Seit Generationen liegen Deutsche und Franzosen immer wieder miteinander in Streit, es gab ja nicht nurdiesen letzten Krieg. Ansichten und Mentalitäten klaffen auseinander. Was, wenn man unterwegs unfreundlich, gar feindlich zu Leonie ist? Wenn man sie spüren läst, dass sie eine Deutsche ist?
Inzwischen reut es ihn bitter, dass er sich von den Tränen der Tochter hat rühren lassen. Aber nun gibt es kein Zurück mehr, versprochen ist versprochen. Und er vertraut auf den gesunden Menschenverstand seiner Leonie und darauf, wie er sie erzogen hat. Sie wird schon so zurückkommen, wie sie jetzt losfährt ...
Im Gegensatz zu seiner Tochter schläft Harald Lasker erst gegen Morgen ein.
Zur Friedrichstraße? Zum Ku’damm? Zum Tauentzien?
Ja, warum nicht. Wenigstens um einmal zu schnuppern. Wenn man denn schon richtiges Geld in der Tasche hat ...
»Süße Leonie! Lora ist lieb!«, ruft ihr der graubunte Wellensittich zu, den sie seit dem Tod der Mutter hegt und pfl egt. (Sie hat das Tier, offensichtlich irgendwo entfl ogen, damals, als sie ein Kind war, allein und verzweifelt, in einem Park gefunden und es mit viel Geduld an sich gelockt und wieder aufgepäppelt, denn es war völlig geschwächt. Nun sind sie beide unzertrennlich.) Sie wirft Lora eine Kusshand zu und steckt ihr schnell noch einen Hirsekolben in den Käfi g.
Dann zieht sie los und fühlt sich unendlich reich mit ihren Dollars in der Tasche. Wieder ein schöner Tag! Es kann ja gar nicht anders sein.
Möckernbrücke steigt sie um in eine andere U-Bahn-Linie und fährt bis Wittenbergplatz. Von da aus kann sie den Tauentzien herunterschlendern Richtung Zoo und dann weiter.
Das KaDeWe, das riesige »Kaufhaus des Westens«, öffnet gerade seine Eingangstüren. In den großen Schaufenstern stehen Verkäufer oder Verkäuferinnen und wechseln die Preisschilder aus, entsprechend dem heutigen Stand der nun schon in Tausendersprüngen nach oben schnellenden Mark. Klein auf den Schildern darunter der unveränderte Preis in Dollar. Leonie lächelt und befühlt durch den Stoff hindurch das Portemonnaie in ihrer Rocktasche, die zumGlück einen Knopfverschluss hat. (»Vor Taschendieben wird gewarnt!« stand auf der U-Bahn-Station vorhin.)
Aber das KaDeWe ist nun wohl wirklich zu teuer, die gleichen Sachen bekommt man woanders um ein Drittel billiger.
Sie schlendert weiter den Tauentzien herunter in der Frische des Morgens, drückt sich die Nase platt an den Auslagen der noblen Geschäfte. Edle Pelze, schimmernd wie Seide, lange Perlenketten und Kolliers, Handschuhe aus Glacéleder. Wer kann dergleichen heute
Weitere Kostenlose Bücher