Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Dreibettzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Dreibettzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Glubrecht
Vom Netzwerk:
mitgekommen! Sie ist doch erst zwei Jahre alt!«
    Ein paar der Ungarn schauen sich ratlos an. Die Jungs, die mich gerade noch verprügeln wollten, zeigen mir die selbst auf Ungarisch leicht verständliche Vogelgeste. Das bringt mich noch mehr in Fahrt. Ich reiße einen der roten Gulaschkessel vom Regal und hebe ihn wie ein Wurfgeschoss über den Kopf – genau wie Leonie vor ein paar Tagen das Brotmesser. Gern hätte ich mir natürlich einen Husarensäbel geschnappt oder eine harte ungarische Salami – aber man muss nehmen, was man kriegen kann.
    Stufe um Stufe gehe ich auf Herrn Béla zu.
    »Wo ist sie?«, knurre ich drohend.
    Vielleicht sollte ich mir einen zweiten Kessel als Schutzhelm aufsetzen? Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon, wie ich in Gulaschkesselrüstung wild um mich schlage und schließlich in der Übermacht meiner Feinde untergehe. Wenn ich schon nicht für eine Familie gelebt habe, kann ich wenigstens für eine sterben.
    Herr Béla starrt mich an, als wäre ich völlig verrückt. Dann deutet er in Richtung Schankraum. Im Türrahmen steht Nadine. Sie sieht mich mit einer Mischung aus Kummer und Mitleid an.
    »Hör auf mit dem Theater, Caspar. Es bringt nichts, um mich zu kämpfen, ich gehöre jetzt zu ihm.« Wie zum Beweis sieht sie Herrn Béla schwerstverliebt an. Wahrscheinlich hat sie sich das während ihrer Studienzeit aus einer ungarischen Telenovela abgeschaut.
    »Ich habe sie nicht gezwungen«, wiederholt Herr Béla. Offenbar haben sie dieselben Serien gesehen. »Wir wollen heiraten.«
    Jetzt reicht’s. Ich hole tief Luft. »Leonie – wo ist Leonie, verdammt noch mal?«
    Nadine zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung, wahrscheinlich bei ihrer Mutter, oder? Müsstest du doch am besten wissen.«
    »Du hast geschrieben, dass du dir ein Andenken mitgenommen hast.« Nadine schaut nachdenklich. Plötzlich haut sie sich mit der flachen Hand vor die hohe Stirn, dass es nur so klatscht. Dann zieht sie ein blaues Einwegfeuerzeug aus der Tasche.
    »Damit hast du mir zum ersten Mal Feuer gegeben. Es erinnert mich daran, dass du auch zuvorkommend sein kannst.«
    Könnte schwören, dass ich das Feuerzeug noch nie gesehen habe. Nadine sieht verlegen zu Herrn Béla hinüber.
    »Sorry«, sagt sie.
    Ihr zukünftiger Mann lässt die Fäuste sinken. In seinem Gesicht steht deutlich die Sorge des engagierten Betreuers. Er sagt ein paar Worte auf Ungarisch, und schon schaut auch seine Verwandtschaft plötzlich eher mitleidig statt lynchwütig.
    »Darf ich bitte mal kurz telefonieren?«, frage ich. Zsófia reicht mir das Telefon. Wenig später habe ich Jeannie am Apparat.
    Sie ist offenbar ein bisschen beschwipst.
    »Ich wurde in die Jury des Familiencontests gewählt, und stellen Sie sich vor: Ihre Familie hat den Bubsi in Platin gewonnen!«, erklärt sie mir ungefragt. »Also die Familie Ihrer Kollegin, meine ich. Anne, ihr toller Typ und Leonie. Gestern und heute haben die beiden so viele Pluspunkte gesammelt, das war ein glatter Durchmarsch …«
    Den Rest ihres Sermons höre ich nicht mehr. Leonie ist wieder da. Ich schließe die Augen. Leider kann mich Jeannie nicht zu ihr durchstellen, weil die Familie Vogtlinger ausdrücklich darum gebeten habe, nicht mehr gestört zu werden. Vor allem nicht von mir. Egal. Hauptsache, der Kleinen geht es gut.
    Als die Iren ausgecheckt hatten, wollten sich die Kinder noch von Leonie verabschieden. Im Gegensatz zu ihr waren sie sowohl groß genug, um an die Klinke zu kommen, als auch stark genug, um die schwere Tür zu öffnen. Sie fanden Leonie allein in unserem Zimmer. Die Abwesenheit von Anne, Mr. Perfect und mir nutzten sie für eine Kissenschlacht, bei der endlich einmal auch Kleidung, Gegenstände und alles, was sich sonst noch gut werfen lässt, erlaubt waren. Da sie aber trotz aller Flausen im Kopf wussten, dass man ein zweieinhalbjähriges Mädchen nicht allein im Zimmer lässt, haben sie Leonie anschließend einfach mitgenommen, bevor ihr etwas passiert. Außerdem hatten sie die Kleine mittlerweile lieb gewonnen und waren sowieso nicht recht glücklich mit dem Gedanken, sich von ihr verabschieden zu müssen. Auch Leonie hat sich nicht beschwert. Dass die Iren jetzt ein neues Familienmitglied hatten, fiel erst beim Durchzählen am Flughafen auf. Daraufhin ließ der gesamte Clan kollektiv seinen Flug verfallen und brachte Leonie zurück.
    »Die Kleine sucht wahrscheinlich auch eine intakte Familie«, folgert Jeannie.
    Sie will noch wissen, ob ich wirklich

Weitere Kostenlose Bücher