Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
Titelgeschichte, die unter meinem Arm klemmt.
»Wie gefällt Ihnen der Artikel?«
»Habe ihn noch nicht gelesen. Mache ich gleich beim Kaffee.« Ich deute fragend in Richtung Speisesaal.
Jeannie nickt. »Sie haben bis heute bezahlt.«
»Frau Vogtlinger, oder wie Ihre Kollegin nun heißt, ist mitsamt Familie heute Morgen sehr früh abgereist«, ergänzt Frau Sommer.
Jeannie sieht mich traurig an. »Als wollte sie vermeiden, Sie zu sehen.« In ihrem Blick lese ich aufrechte Anteilnahme. »Dabei finde ich Ihre Gutenachtgeschichte so bezaubernd. Wenn ich Frau Vogtlinger wäre, ich würde mich für Sie entscheiden.«
Frau Sommer wirft ihr einen verächtlichen Blick zu, der darauf schließen lässt, dass sie Jeannie und deren romantische Kommentare in ihrem nächsten Job garantiert nicht vermissen wird.
»Leider hat Ihnen Ihre Kollegin keine Nachricht hinterlassen«, sagt die Direktorin. »Aber hier ist ein Brief von Ihrem Chef.«
Ich nehme den Umschlag entgegen und reiße ihn auf. Wenig später weiß ich, dass ich tatsächlich gefeuert bin, weil ich mich einer direkten Anweisung widersetzt habe. Außerdem hat mein Chef beziehungsweise Exchef aus verschiedenen Zeitungen erfahren müssen, dass ich »ernsthafte psychische Probleme« habe. Deshalb sieht er sich gezwungen, meinen Vertrag mit sofortiger Wirkung aufzulösen, »im Interesse der Leser«, versteht sich. Schade lässt mich noch wissen, dass Anne die Stelle kriegt. Offenbar hat sie nicht mich weicher gemacht, sondern ich sie härter. Ob ich wohl in ihrem Artikel vorkomme?
Eigentlich müssten mir die schlechten Nachrichten auf den Magen schlagen, aber der ist noch ziemlich leer. Deshalb würde ich mich gern setzen und ein paar Kohlenhydrate zu mir nehmen, am besten mit Kaffee.
»Viel Spaß beim letzten Morgenmahl«, wünscht Frau Sommer und verschwindet in ihr Büro.
Jetzt traut sich auch Jeannie, mir zum Bubsi in Plastik zu gratulieren. Sie erklärt, dass meine unter vier Augen besprochenen Angelegenheiten selbstverständlich nicht in die Endwertung eingeflossen sind. Die Rettung von Herrn Fröhlich wurde mir hoch angerechnet, aber trotzdem habe es am Ende nicht gereicht.
»Ihnen hat zum Schluss einfach die echte Familie gefehlt.«
»Ja, ich weiß. Danke trotzdem.«
Auf dem Weg zum Frühstück rennen mich die Iren über den Haufen. Sie gröhlen: »It’s coming home, it’s coming home, it’s coming, family is coming home.« Der kleine Rotschopf, der Leonie in der Therme die Gießkanne klauen wollte, hält stolz einen goldenen Bubsi hoch.
»Für den Familienzusammenhalt«, erklärt Jeannie von der Theke aus.
Als ich versuche, die Iren aufzuhalten, um mich bei ihnen für Leonies Rückkehr zu bedanken, schubsen sie mich nur ausgelassen zur Seite. Etwas wehmütig winke ich ihnen hinterher.
Der Frühstückssaal liegt da wie der Saloon einer fast verlassenen Goldgräberstadt. Ein Paar mit Kind, das ich hier noch nie gesehen habe, schaufelt eilig sein Frühstück hinunter. Der Junge hat gar nichts mehr zu trinken in seinem Becher, aber das ist nicht mein Problem. Wahrscheinlich sind die eh nur für eine Nacht gekommen.
Der irische Oberhooligan mampft noch im Stehen die letzten Baconstreifen vom Büfett, um dann seiner Familie hinterherzueilen. Ich bedanke mich im Vorübergehen für Leonies Unterstützung, aber der Mann hat es eilig. Mr. Perfect hat den Iren als Dank Karten für das Champions-League-Spiel Manchester gegen Bayern in der Allianz Arena besorgt: der Klassiker. Die ganze Familie freut sich schon, denn sie hat viel Gutes von der Münchner Polizei gehört. Wahrscheinlich liegt die Stadt bis zu meiner Rückkehr in Schutt und Asche.
Allein die Chefredakteurin des Frauenmagazins sitzt noch seelenruhig an ihrem Frühstückstisch und liest die neue Ausgabe des »Familienurlaub« mit einer Vorlesegeschichte, die eigentlich für Anne und Leonie bestimmt ist. Das Ende kennt die Kleine ja noch nicht.
Mit dem Bubsi in der Hand und dem »Münchner« unter den Arm geklemmt gehe ich von Tisch zu Tisch und suche das kleine Pappschild mit meinem Namen. Als ich an der Chefredakteurin vorbeikomme, nicke ich ihr zu. Sie sieht hoch.
»Schöne Geschichte«, meint sie.
Ich halte den »Münchner« hoch. »Leider nicht von mir. Hat meine Kollegin geschrieben. Habe sie selbst noch nicht gelesen.«
»Nicht der Verriss. Ich meine Ihr Märchen: irgendwie putzig. Der Verriss ist so lala. Ein Lob der Familie mit der Forderung nach noch mehr und besseren
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