Dreikönigsmord (German Edition)
schoss aus ihrer Nase. Der Schmerz ließ sie für einige Sekunden erneut fast ohnmächtig werden. Als sie zu sich kam, konnte sie ihre Lider nur mit Mühe öffnen. Wahrscheinlich hatte er ihr das Nasenbein gebrochen.
»Schade um Euer hübsches Gesicht. Aber Ihr habt es ja nicht anders gewollt.«
»Ich verstehe immer noch nicht …«, röchelte Jo. »Warum all die Morde …« Sie versuchte, tief und gleichmäßig durch den Mund Luft zu holen und dabei das Blut nicht einzuatmen. Sie musste ruhig werden, sich konzentrieren …
»Wie ich Euch schon sagte, die Zahl Acht steht für die Unendlichkeit. Sie setzt sich zusammen aus der Eins und der Sieben. Die Zahl Eins entspricht der Allmacht Gottes, die Sieben symbolisiert die Schöpfung. Die Vier – wovon die Acht das Doppelte ist – ist die vollendete Harmonie, in der alle Gegensätze aufgehoben sind. Die Drei und die Fünf hingegen …«
»Ach, jetzt hört doch endlich mit diesem Unsinn auf«, unterbrach Jo ihn. »Und eine Mathematikstunde für Grundschüler benötige ich auch nicht.«
Leonards Augen verengten sich gefährlich, doch dann lachte er auf. »Immerhin seid Ihr mutig. Ich hoffe, Ihr begreift mich jetzt: Das Blut von zwei Männern und zwei Frauen, gemischt mit den zerkleinerten Reliquien je zweier männlicher und weiblicher Heiliger, wird mir Unsterblichkeit verschaffen. Ich muss es nur während einer heiligen Messe, vermischt mit dem Blut des Herrn, trinken. Mein Medicus Gregorius, der auch Astrologe ist, hat den Termin berechnet, wann die Planeten für mein Vorhaben am günstigsten stehen. Am Fest der Heiligen Drei Könige, wenn Merkur am stärksten auf die Erde wirken wird, wird dies der Fall sein.«
Einige Momente schien er tief in Gedanken versunken. Ihre Hände waren vor ihrem Körper gefesselt. Er trug ein Messer oder einen Dolch in seinem Gürtel. Vielleicht, wenn es ihr gelang, die Waffe zu fassen … Vorsichtig versuchte Jo, sich anzuspannen und die Entfernung abzuschätzen. Die Möbel warfen lange Schatten. Es musste auf den Abend zugehen. Irgendwo im Palast schlug eine Tür. Stimmen erklangen und entfernten sich wieder. Wo war Lutz? Ahnte er, dass er in Gefahr war? Konzentrier dich …, ermahnte sie sich .
Wieder schenkte Leonard Jo dieses Lächeln, das ihr schier den Magen umdrehte. »Eines Tages werde ich also Eure Zeit kennenlernen. Erzählt mir davon.«
»Nein, das werde ich nicht. Ich will von Euch wissen: Warum mussten ausgerechnet diese vier Menschen sterben?«
Leonard lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Wie so vielen Mördern, die Jo kennengelernt hatte, war es auch ihm ein Bedürfnis, sich zu erklären. »Nun, die Bettlerin und Anselm waren Menschen, die nicht zählten. Niemand würde sich darum kümmern, wenn ihre verstümmelten Leichen gefunden würden. Die Bettlerin tötete ich in einem Feld vor der Stadt. Ich nehme an, wilde Tiere haben sich ihren Körper geholt. Jedenfalls wurde ihr Tod gar nicht in der Stadt bekannt. Im Falle von Anselm habe ich jedoch – wie ich Euch bereits sagte – Äbtissin Agneta unterschätzt. Ich dachte, sie würde allenfalls dafür sorgen, dass er ein christliches Begräbnis erhält. Und nicht, dass sie Nachforschungen anstellen lassen würde.«
»Woher habt Ihr gewusst …?«
»Oh, ich habe meine Informanten, und ich halte auch selbst meine Augen und Ohren offen.« Er vollführte eine großzügige Handbewegung, wie ein Schauspieler, der sich für Applaus bedankte.
»Und warum habt Ihr Frowin getötet? Und Anna?«, flüsterte Jo.
Leonard zuckte mit den Schultern. »Frowin gehörte ebenfalls zu den Menschen, die nicht zählten. Außerdem meinte ich, er hätte mich einmal beobachtet, als ich Anselm auskundschaftete. Ich konnte nicht das Risiko eingehen, dass Ihr und der Wirt davon erfuhrt. Denn noch waren meine Vorbereitungen nicht abgeschlossen. Was Anna betrifft – nun ja, auf meinen nächtlichen Streifzügen entdeckte ich, dass sie sich als Junge verkleidete, um sich im Geheimen mit ihrem Geliebten zu treffen. Ich benötigte noch das Blut einer Frau. Außerdem hätte sich mir keine bessere Gelegenheit bieten können, um Euch und den Wirt gehörig zu verwirren.«
Jo schmeckte das Blut in ihrer Kehle, während ein heftiges Zittern sie durchlief. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten. Ihre Nachforschungen hatten zu Annas Ermordung geführt. Wieder war sie an einem Menschen schuldig geworden.
»Der Tod der kleinen Baumgarten scheint Euch sehr nahezugehen.«
Leonards amüsierte
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