Dreikönigsmord (German Edition)
stehenbleibt …«
»Wo finde ich Eure Äbtissin? Ich muss sie sofort sprechen.«
»Wahrscheinlich in ihren Gemächern. Aber die Vesper beginnt gleich.«
»Die wird Eure Äbtissin heute ausfallen lassen müssen«, versetzte er grimmig.
Die Äbtissin hatte tatsächlich schon ihre Räume verlassen und war auf dem Weg zur Kirche. Lutz traf sie vor der Sakristei. Doch als er ihr rasch berichtete, dass der Bischof Jo gefangen genommen hatte und sie als Hexe verbrannt werden sollte, kehrte sie sofort um. Lutz schilderte ihr, was sich in der Stadt und vor dem Bischofspalast zugetragen hatte. Außerdem legte er ihr dar, was er und Jo in den letzten Tagen herausgefunden hatten.
Als er geendet hatte, sah ihn die Äbtissin aufmerksam an. Im Licht der Kerzen, die auf dem Tisch in ihrem Arbeitszimmer brannten, wirkte ihr faltiges Gesicht mehr denn je raubvogelhaft. »Ihr denkt also, dass Bischof Leonard hinter all den Morden steckt«, fasste sie knapp zusammen.
»Ja, denn warum sollte er sonst behaupten, Jo sei eine Hexe? Er muss von unseren Ermittlungen erfahren und uns nachgespürt haben«, erwiderte Lutz entschieden. »Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung habe, was sein Motiv ist. Und ich weiß immer noch nicht, ob die Reliquiendiebstähle mit den Morden zusammenhängen und Leonard auch sie zu verantworten hat oder ob Jörg Schreiber dahintersteckt.«
»Allen Opfern wurde die Kehle durchgeschnitten«, meinte die Äbtissin nachdenklich. »Das bedeutet, es gab viel Blut. Der Mord an Anselm geschah ja höchstwahrscheinlich während einer unserer nächtlichen Gebetszeiten, unter den erleuchteten Kirchenfenstern. Lasst uns einmal annehmen, Leonard benötigte das Licht, um eine bestimmte Menge an Blut in ein Gefäß zu füllen.« Sie schwieg und sann einige Momente lang vor sich hin. Funkensprühend zerbarst ein dickes Holzscheit in dem Kamin. »Blut ist der Sitz des Lebens«, sprach sie dann mehr wie zu sich selbst weiter. »Es besitzt eine große Kraft, auch im magischen Sinne. Reliquien sind ebenfalls sehr machtvoll. Wenn es Leonard nun darum ging, diese beiden Kräfte zusammenzubringen …«
»Ja, und …?« Lutz hatte nicht die geringste Vorstellung, worauf sie hinauswollte.
»Junger Mann, dies könnte darauf hindeuten, dass Leonard einen Zauber ausheckt. Dass wir es – auf welche Weise auch immer – mit schwarzer Magie zu tun haben. Sein Medicus steht in einem gewissen Ruf. Bisher habe ich dies immer für böswillige Gerüchte gehalten. Aber nun …« Sie vollführte eine vielsagende Handbewegung.
»Schwarze Magie …?« Langsam hatte Lutz diese Zeit wirklich satt.
Äbtissin Agneta lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Als Anselms Leichnam gefunden wurde, hatte ich jene Vision, in der schwarze Sterne vom Himmel stürzten und sich die Ordnung der Dinge verkehrte. Wenn Leonard oder sein Medicus tatsächlich Schwarze Magie praktizieren, erklärt sich meine Schau. Denn Schwarze Magie bringt die Ordnung der Welt durcheinander. Deshalb ist sie auch so gefährlich.«
Lutz hatte genug von diesem Gerede. Ungeduldig schüttelte er den Kopf. »Das mag ja alles sein. Aber mir ist es erst einmal nur wichtig, Jo rechtzeitig zu befreien, bevor dieser Irre sie auf den Scheiterhaufen bringt.«
»Ihr habt Josepha sehr gern, nicht wahr?« Die alte Frau betrachtete ihn mit einem leichten Lächeln.
Lutz spürte, wie er errötete. »Jo ist eine Kollegin«, erklärte er hastig. »Ich stehe für sie ein – so wie Jo im umgekehrten Fall, wenn ich in Gefahr wäre, auch für mich einstehen würde.« Genau so war es. Nicht weniger, aber auch nicht mehr …
»Oh, nur eine Kollegin.« Zu Lutz’ Unbehagen wirkte die Äbtissin nicht überzeugt. »Übrigens ein merkwürdiges Wort …«
Er räusperte sich. »Um wieder auf das zurückzukommen, was wirklich zählt … Dieser Psychopath – also dieser Irre – hat gesagt, Jo würde im Bischofspalast gefangen gehalten. Meine Kumpels werden mir sicher helfen, Jo zu befreien, und ein Teil der Stadtsoldaten bestimmt auch. Das Problem ist nur, es muss schnell gehen. Sonst tut Leonard Jo möglicherweise etwas an.«
»Ja, ich verstehe Euch ganz und gar.« Äbtissin Agneta nickte. »Ihr werdet die bischöflichen Soldaten am Tor überwältigen müssen und dann die, die den eigentlichen Palast bewachen. Wahrscheinlich werden weitere Bewaffnete im Keller postiert sein.«
Für eine alte Frau, die noch dazu Nonne war, bewies sie wirklich einen verblüffenden Realitätssinn.
»In
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