Dreikönigsmord (German Edition)
Sie zwang sich, ihren Kopf zu wenden. Wie damals, als sie nach ihrem Anfall in diesem Raum zu sich gekommen war, saß Leonard neben dem Bett. An jenem Tag hatte er sie teilnahmsvoll angesehen. Jetzt betrachtete er sie kühl und distanziert, als hätte er ein interessantes Insekt vor sich, das er gleich aufspießen würde. Wie hatte sie diesen Mann nur jemals anziehend finden können? Jo hätte es unbedingt vorgezogen, gelähmt, statt ihm ausgeliefert zu sein. Irgendwie musste sie es schaffen, ihm zu entkommen.
Als hätte Leonard ihre Gedanken gelesen, sagte er gelassen: »Das Schreien könnt Ihr Euch übrigens auch sparen. Meine Bediensteten werden sich darum nicht scheren. Also schont mich und Eure Stimme und lasst es bleiben. Andernfalls werde ich Euch knebeln.«
Jo zweifelte keine Sekunde daran, dass er seine Drohung wahr machen würde. Sie musste Zeit gewinnen, mit ihm reden … »Ihr habt also all die Morde begangen«, brachte sie mühsam über die Lippen.
»Ja, und es war recht erheiternd zu verfolgen, wie Ihr Leichen untersucht, Leute befragt und in zig Kirchen die Reliquienschreine untersucht habt.« Leonard lächelte. »Nun, es war ganz in meinem Sinne, dass Ihr Jörg Schreiber verdächtigt habt, all diese Taten begangen zu haben.«
»Warum …?« Jos Mund war ganz trocken.
Leonard beugte sich vor und sagte langsam und überdeutlich, als habe er es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun: »Ganz einfach, zwei Männer und zwei Frauen ergeben das Blut von vieren.«
»Weshalb sprecht Ihr von zwei Frauen?«
»Es gab noch eine Tote, vor Anselm, eine Bettlerin. Ich muss zugeben, ich habe Äbtissin Agneta unterschätzt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich jemand um den Tod dieses armseligen Töpfers und Lustknaben kümmern würde.«
Jo erinnerte sich daran, wie Lutz und sie Anselms Leichnam in der Klosterscheune untersucht hatten. Noch im Tod hatte Anselm empfindsam gewirkt. Er hatte die junge Schwester geliebt, war Frowin gegenüber freundlich und großzügig gewesen und hatte eine wunderschöne Keramik geschaffen. Zorn erfasste sie. »Anselm war nicht armselig«, sagte sie heftig. »Ganz im Gegensatz zu Euch.«
Leonard schien ihre Worte nicht wahrzunehmen. Stattdessen redete er weiter, wieder auf diese übertrieben geduldige Weise. »Zwei Reliquien von einem männlichen und zwei Reliquien von einer weiblichen Heiligen, auch das ergibt vier. Und vier plus vier sind acht. Acht – das ist die Zahl der Unendlichkeit.«
Er war ja noch irrer, als sie befürchtet hatte … »Und um auf die Zahl Acht zu kommen, habt Ihr vier Menschen getötet?«
Leonard betrachtete sie nachdenklich. »Ihr seid eine seltsame Frau. Zum ersten Mal traf ich Euch ja, als mich Euer Gatte Gerhardt in Eurem Beisein bat, Euch zu unterstützen, falls seine Brüder sein Testament nicht akzeptieren sollten. Ich fand Euch schön und erotisch stimulierend. Aber als ich Euch dann das nächste Mal begegnete – auf dem Markt, als die Leute Euch angriffen –, hattet Ihr Euch auf eine schwer fassbare Weise verändert. Als hättet Ihr plötzlich eine andere Aura. Ja, als würdet Ihr nicht aus dieser Zeit stammen, sondern aus einer fernen Zukunft kommen. Dabei wart Ihr eher noch schöner und erotischer als zuvor.«
Nicht, dass dies etwas ändern würde – aber sollte dieser Psychopath doch ruhig die Wahrheit wissen. »Ja, ich komme tatsächlich aus einem anderen Jahrhundert«, erwiderte Jo rau.
Leonard nickte, er wirkte nicht besonders beeindruckt, eher so, als hätte Jo ihm damit eine langgehegte Ahnung bestätigt. »Also ist es tatsächlich möglich, zwischen den Zeiten zu reisen. Ich nehme an, jener liederliche Wirt, mit dem Ihr den Morden nachgespürt habt, ist ebenfalls in Eurer eigentlichen Zeit beheimatet?«
Was ist mit Lutz?, durchfuhr es Jo. Hat Leonard ihn etwa ebenfalls gefangen genommen?
Leonard erriet ihre Gedanken. Lächelnd sagte er: »Ich werde diesen Kerl natürlich auch aus dem Verkehr ziehen. Jörg Schreiber, dem er schon lange ein Dorn im Auge ist, wird mir sicher mit Vergnügen dabei behilflich sein.«
»Lasst Lutz in Ruhe!« Jo bäumte sich auf und zerrte an ihren Fesseln. Sie musste aus diesem Raum entkommen und Lutz warnen …
»Hört sofort auf zu schreien und liegt still. Sonst werde ich Euch weh tun.« Leonards Stimme klang leise und drohend.
Jo ignorierte ihn. »Mieses Schwein …«
Leonards Schlag erfolgte so schnell und war so hart, dass Jo das Gefühl hatte, ihr Gesicht würde explodieren. Blut
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