Dreiländermord
Dessen Empfehlung, die Umgehungsstraße zu
nutzen, um über Gürzenich zu Gefferts Bleibe zu gelangen, hatte Böhnke ausgeschlagen,
was er spätestens in dem Moment verfluchte, als er auf der Monschauer Straße stadteinwärts
in Höhe der Rurbrücke in die Folgen eines Verkehrsunfalles geriet. Der Stau bescherte
ihm eine fast einstündige Wartezeit. Hätte er nur auf den Dürener Kollegen gehört,
schimpfte Böhnke mit sich.
Trotz seines vorherigen ausgiebigen Kartenstudiums verfranzte er sich
gehörig in der Stadt. Statt in Birkesdorf kam er in Arnoldsweiler raus. Ich hätte
mir doch ein Navi anschaffen sollen, kam ihm einmal mehr die Erkenntnis, die in
seiner momentanen Situation jedoch wenig hilfreich war.
Ein einsamer Spaziergänger, der seinen gebrechlichen
Labrador auf einem Rollwagen ziehend ausführte, schickte ihn endlich auf den richtigen
Weg. »Da hinge, an dat Jewerbejebiet vorbeey und över de Krüzzung möt der Bundesstroot
jradus, da findse Birkesdörp. Hänge de Krüzzung sofort links, dann de nächste all
weär links und dann noch ens linkseröm. Wenn Se dann jradus fahre, kommen Se an
de Krüzzung mit de Eeinsteeinstroot. Jlööf ich jedenfalls.«
So richtig traute Böhnke dem freundlichen Senior
zunächst nicht, der sich offensichtlich selbst nicht sicher war. Doch der Glaube
trog nicht, und die Wegbeschreibung stimmte genau. Böhnke stieß auf die gesuchte
Straße, die ihm gegenüber in beide Richtungen mit Wohnblocks bebaut war. Einsteinstraße
1, das musste, wie Böhnke sich orientierte, linkerhand von ihm auf der rechten Seite
sein, am Ende oder Anfang dieser Straße. Es war ein rotgeklinkerter, freistehender
Bau mit drei Geschossen, an denen, vermutlich vor den jeweiligen Wohnzimmern, Balkone
hingen. Zwischen Straße und Haus gab es einen kleinen Parkstreifen und dahinter
eine Grünanlage. Auf der für Fahrzeuge vorgesehenen Fläche bekam Böhnke bequem einen
Parkplatz. Lediglich ein Fahrzeug war abgestellt, wo ausreichend Raum für acht war.
Die Straße war leer. Das Haus war das letzte am Ende einer Sackgasse, nur ein Fußweg,
der durch Steinbrocken für Autos unpassierbar gemacht worden war, führte zu einem
großen Gebäude, das Böhnke an eine Baptistenkirche erinnerte.
Langsam näherte er sich dem Hauseingang, beobachtend, ob nicht hinter
einem der Fenster oder auf einem der Balkone jemand erschien, der neugierig nach
dem Fremden schaute. Aber es blieb erstaunlicherweise ruhig. In den sechs Briefkästen
neben der Haustür aus Glas und Aluminium steckte Post. Das Fach von Geffert quoll
fast über. Ohne Gewissensbisse zog Böhnke die Umschläge aus dem Schlitz, suchte
nach dem Haustürschlüssel, trat in den Flur, öffnete das Brieffach des Journalisten
und entnahm ihm zwei weitere weiße, kleinere Kuverts.
Er machte sich auf die Suche nach Gefferts Wohnung. Nach der Anordnung
der Namen auf dem Klingelbrett musste Geffert eine der beiden Wohnungen in der ersten
Etage besessen haben, vermutlich links vom Treppenhaus. Der Kommissar a. D. machte
sich auf den Weg. Am Ziel angekommen, bestätigte der fremde Name auf der gegenüberliegenden
Seite Böhnke in dieser Annahme. Der dritte Schlüssel am Bund ließ sich widerstandslos
ins Türschloss schieben, lautlos öffnete sich der Zugang. Böhnke huschte schnell
hinein und schloss hinter sich ab. Wenn er bis jetzt unbeachtet geblieben war, sollte
es auch so sein, dachte er sich. Dass er wegen Gefferts Briefe aus dem Postfach
auf sich aufmerksam gemacht haben könnte, kümmerte ihn nicht.
Die abgestandene Luft machte deutlich, dass seit Tagen niemand mehr
die Wohnung betreten hatte. Sie war ziemlich karg möbliert. Ein kleines Zimmer linksseitig
der Wohnungstür diente Geffert als Arbeitszimmer, der daneben liegende große Raum
mit Balkon zur Straße sollte ein Wohnzimmer darstellen. Angrenzend gab es mit Blick
in die Felder einen Raum, in dem außer einem hölzernen Doppelbett und einem kleinen
Kleiderschrank nichts weiter zu sehen war. Rechts befanden sich ein kleines, übersichtliches
Bad und die Küche, direkt neben der Eingangstür war eine fast leere Besenkammer
versteckt. Kein einziges Bild schmückte die nackte, weiße Raufasertapete an den
Wänden. Mit Blumenkästen hatte sich Geffert erst gar nicht abgegeben. Sich um natürlichen
Zimmerschmuck zu kümmern, war ihm augenscheinlich zu aufwendig gewesen.
Eigentlich eine zu große Wohnung für eine einzelne
Person und ziemlich übersichtlich eingerichtet, sagte sich Böhnke. Er
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