Dreiländermord
wandte sich
nach seinem ersten Überblick dem Arbeitszimmer zu, nachdem er den Schlüssel in das
Schloss der Eingangstür gesteckt hatte. Dort würde er ihn wenigstens auf Anhieb
finden.
Die Wohnung machte auf ihn den Eindruck, als sei
ihr Bewohner noch nicht richtig heimisch geworden, als schwanke er, ob er sich wirklich
darin niederlassen wollte oder doch lieber wieder ausziehen sollte.
Ungeniert setzte sich der Pensionär auf den billigen Schreibtischstuhl
vor dem einfachen Schreibtisch aus einem skandinavischen Möbelhaus. Werbung und
zwei Schreiben der Presse-Versorgungskasse sortierte er aus der Post aus. Die Telefonrechnung
von NetCologne zeigte nur eine geringe Forderung an. Die Liste der gewählten Telefonnummern
deutete auf einige Gespräche ins Frankfurter Festnetz hin und auf eines im Jülicher
Bereich. Offensichtlich hatte Geffert die meisten Telefonate per Handy geführt,
vermutete Böhnke, und nur aufs Festnetz zurückgegriffen, wenn er in seiner früheren
Heimat anrief oder im benachbarten Jülich.
Böhnke stieß auf einen Briefumschlag, der in den Niederlanden abgestempelt
war und das Limburgs Dagblatt als Absender nannte. Ohne Zaudern riss er die große,
braune Verpackung auf und zog einige Blätter hervor. Ein Redakteur der niederländischen
Zeitung, so entnahm Böhnke jedenfalls dem Briefkopf, hatte Geffert den Brief zukommen
lassen. Gerne liefere er die Informationen, die er hätte, schrieb er in nicht einwandfreiem
Deutsch.
Es habe in Südlimburg und im gesamten Verbreitungsgebiet seiner Zeitung
in den letzten Jahren fast keinen einzigen unaufgeklärten Todesfall gegeben. Nicht
eindeutig geklärt seien bloß der vermeintliche Mord an einem jungen Homosexuellen
und der Tod eines Maschinenbauingenieurs, bei dem nicht sicher sei, ob es sich um
einen Unfall, einen Selbstmord oder einen Mord gehandelt habe. Wahrscheinlich handele
es sich aber um einen Verkehrsunfall. Bei dem Homosexuellen gehen die Politiker
im Prinzip aus politischen Gründen von einem Mord aus, um überhaupt einen Ansatzpunkt
zu haben und die Schwulenszene beobachten zu können.
Die Kopien der entsprechenden Zeitungsartikel gaben Böhnke weitere
Auskünfte. Auch wenn er nicht jedes Wort verstand, so stellte er doch den sinngerechten
Inhalt her. Dubios war der Tod des 42-jährigen Ingenieurs, der auf der Strecke durch
das Mergelland nach Valkenburg auf der bergigen, kurvenreichen Straße mit seinem
Sportwagen in einer Kurve geradeaus gefahren und dabei mit stark überhöhter Geschwindigkeit
gegen eine massive Buche geprallt war. Der vielleicht lebensrettende Airbag hatte
nicht funktioniert. Da sich der Unfall spät in der Nacht, fast schon am Morgen,
in einer entlegenen Region ereignet hatte, war er sehr spät entdeckt worden.
Die Polizei ging nach ihrer Untersuchung davon aus, dass der Fahrer
übermüdet, vielleicht sogar eingenickt war und deshalb verunfallte. Nahezu erleichtert
hieß es im Nachsatz, der Autofahrer sei alleine unterwegs gewesen und ledig, sodass
es keine trauernden Hinterbliebenen gebe. Der Mann sei unauffällig gewesen, nicht
vorbestraft und ein redlicher Zeitgenosse. Dieser Unglücksfall hatte sich vor rund
drei Jahren ereignet.
Handschriftlich hatte der niederländische Journalist eine Notiz neben
den Unfallbericht geschrieben: Was die Polizei irritierte, war der funktionsuntüchtige
Airbag. Sie glaubte Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass an ihm manipuliert worden
war. So jedenfalls übersetzte Böhnke die Sätze. Weniger Probleme hatte er mit einer
anderen hinzugefügten Information: Der Ingenieur hieß Theodorus van der Kerkhoff.
Weitaus längere Zeit zurück lag der zweite Todesfall, über den die
Tageszeitung mehrfach berichtete. Der damals 23-Jährige sei vor rund acht Jahren
zunächst nach einem Discothekenbesuch in Roermond spurlos verschwunden. Ohne Wertung
oder moralischen Zeigefinger schrieb die Zeitung, dass der junge Mann seinen Lebensunterhalt
als Callboy verdiente und vornehmlich von älteren Männern gebucht wurde. Er sei
in der limburgischen Homo-Szene sehr beliebt gewesen. Insofern hätten sich seine
Freunde und die Mitglieder seiner schwulen Wohngemeinschaft nach dem überraschenden
und für sie unerklärlichen Verschwinden große Sorgen gemacht und sehr getrauert.
Der Mann wurde drei Monate später als Wasserleiche am Ufer einer der Seen entlang
der Maas gefunden.
Viel sprach nach Ansicht der Polizei für einen
Unfall, seine Freunde hingegen gingen von einem Verbrechen aus, ohne
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