Dreimal Liebe
schloss für einen Moment die Augen. »Blau steht für Männlichkeit, hat etwas Raues, Kühles und Kräftiges an sich. Trotzdem ist die Farbe wunderschön, sie ist meine Lieblingsfarbe, und ich glaube, dass sie auch deine wäre.«
Tobias musste Lächeln bei ihrer Vermutung, weil sie ihm damit irgendwie ein Gefühl der Zugehörigkeit gab.
Angsteckt von seinem Strahlen sprach Anna weiter. »Gelb ist eine der wärmsten Farben, die es gibt. Sie ist sehr hell und hat trotzdem viel Kraft, genauso wie die Sonne, das Symbol für diese Farbe schlechthin. Denke an das intensive Aroma von Zitronen, den Duft von Sonnenblumen, Bananen und Honigmelonen. Gelb bedeutet für mich schönes Wetter, einen warmen Sommertag. Die Farbe stimmt einen irgendwie fröhlich, optimistisch, macht gute Laune und wirkt friedlich.«
Tobias hörte gebannt Annas vertrauter Stimme zu, versuchte sich unter ihren Beschreibungen etwas vorzustellen, was ihm aber nur halbwegs gelang. Aber trotzdem … es war wunderschön, was Anna sagte. Sie hatte ihm vielleicht kein Bild vermitteln können, aber dafür ein deutliches Gespür.
»Welche Farbe haben deine Augen, Anna?«
»Braun«, erwiderte sie. »Eine ziemlich langweilige Farbe, die die meisten haben.«
»Kannst du sie mir wie die anderen beschreiben?«, bat er sie.
Anna dachte einen Moment nach, ehe sie antwortete. »Braun ist eine eher dunkle aber trotzdem warme Farbe. Denk an den Geruch von Erde, frischem Holz, Lehm, Baumrinde, Herbst und Schokolade. Sie ist sehr natürlich und strahlt auf mich so eine Art Bequemlich- und Gemütlichkeit aus.«
»Was soll daran denn langweilig sein?«, fragte Tobias. »Schokolade zum Beispiel, ich liebe Schokolade.«
Anna lachte leise. Tobias war der eindeutige Beweis, dass Schokolade nicht unbedingt eine Frauenkrankheit sein musste. Erneut kehrte eine Stille zwischen den beiden ein, in der jeder seinen eigenen Gedanken über Farben nachhing.
»Tobias?«, fragte Anna nach einer Weile ruhig aber bestimmt. »Zeig mir deine Augen.«
Tobias spannte sich an. Er zeigte niemals seine Augen.
Anna musterte ihn mit einem wehmütigen Gesichtsausdruck, seine Reaktion war nicht die, die sich gewünscht hätte, trotzdem kam sie nicht unerwartet. Es konnte kein Zufall sein, dass er jede Sekunde diese Brille trug und dass Anna ihn noch nie ohne gesehen hatte. Nein, Tobias wollte offenbar nicht, dass jemand seine Augen sah.
Anna war nicht naiv, sie wusste sehr wohl, dass die Augen von blinden Menschen oftmals trüb oder gar entstellt waren. Und sie erwartete auch nicht, dass Tobias’ Augen eine Ausnahme bildeten. Damit hatte sie sich von Anfang an auseinandergesetzt. Und sie war sich inzwischen absolut sicher, dass egal, wie seine Augen auch aussehen sollten, sie damit umgehen könnte. Nichts könnte ändern, wie viel ihr Tobias bedeutete.
»Warum möchtest du sie mir nicht zeigen? Hast du Angst, du würdest mich abschrecken?«, fragte sie. »Tobias, nichts an dir könnte mich abschrecken. Es bin nur ich – Anna – niemand sonst.«
»Ich … Ich«, stammelte er, wusste nicht, was er sagen sollte. Er kam sich so schlecht vor, sie offenbarten sich immer alles, hatten keine Geheimnisse voreinander. Aber bei seinen Augen war es einfach nicht dasselbe. Sie funktionierten nicht, waren kaputt. Sie waren der Grund, warum er sich von anderen Menschen unterschied.
Anna bemerkte Tobias’ inneren Kampf mit sich selbst, konnte diesen Anblick nicht eine Sekunde länger ertragen. »Vertraust du mir?« Ihr Tonfall war ruhig und voller Liebe, ging Tobias bis ins Mark. Trotzdem war er nicht fähig, ihr die einzige richtige Antwort auf ihre Frage zu geben. Zu groß war die Angst, die immer deutlicher in ihm anstieg.
»Du bedeutest mir so viel, Tobias, nichts wird das jemals ändern können«, sagte sie. Tobias hatte jedes einzelne Wort verstanden, wenn auch sein Kopf noch brauchte, um es zu begreifen.
Langsam hob Anna den Arm, machte ein beruhigendes, leises »Schsch« und legte ihre Fingerspitzen auf seine Brille. Tobias’ Herz begann zu rasen, seine Brustkorbbewegungen stiegen wegen seiner schnellen Atmung deutlich an. Alles in ihm schrie danach, Anna von ihrem Vorhaben abzubringen, doch er konnte nicht. Lag nur da und spürte, wie sich all seine Gliedmaßen versteiften.
Anna umfasste den Bügel, zog Tobias millimeterweise die Sonnenbrille ab. Auch jetzt, wo der Moment greifbar nah war, fürchtete sie sich nicht. Es waren Tobias’ Augen. Sie gehörten zu ihm, waren nur ein weiterer
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