Dreimal Liebe
Teil von ihm. Gleichgültig wie auch immer ihr Erscheinungsbild sein sollte. Alles, was sie wollte, war, einmal in seine Augen gesehen zu haben. Es gab keinen Grund, dass Tobias sie vor ihr versteckte. Anna wollte ihm zeigen, dass er vor nichts Angst zu haben brauchte, dass er ihr voll und ganz vertrauen konnte.
Tobias hielt still, zitterte aber gleichzeitig am ganzen Leib und spürte, wie die Gläser – sein letzter Schutz – immer weiter von ihm genommen wurden. Nur ein paar Sekunden später war nichts mehr da, kein leichtes Gewicht mehr auf seinem Nasenrücken. Die Brille war weg, ersetzt durch den leichten Hauch einer Sommerbriese, den seine Haut an dieser Stelle überhaupt nicht gewohnt war. Er wusste, dass Anna in diesem Moment seine Augen sehen konnte. Schrecklich genug, hätte er gedacht, doch was noch viel schlimmer war, war die Stille, die ihn bei lebendigem Leib aufzufressen drohte. Anna sagte kein Sterbenswörtchen; er hörte sie nicht mal mehr Atmen. Panik rauschte durch seinen Körper und schwappte wie eine Flut über ihm zusammen.
Annas Herz hatte in seiner Bewegung gestoppt, während ihr Blick wie paralysiert auf Tobias’ Augen gerichtet war. Um seine pechschwarzen Pupillen lag ein hellgrüner, leicht trüber Ring, der sich wie Rauchschwaden langsam auflöste und in ein gebirgsflussklares Lindgrün überging. Sein Blick war nicht direkt auf Anna gerichtet, sondern ging leicht an ihr vorbei.
Tobias’ Augen waren nicht entstellt – aber sie waren auch alles andere als normal. Noch niemals in ihrem Leben hatte Anna solche Augen gesehen. So viel Furcht, so viel Hilflosigkeit spiegelte sich in diesem Moment daran wider, ließ Tobias unsagbar verletzlich wirken.
»Sie sind grün«, flüsterte Anna kaum hörbar, war noch immer in ihrer Faszination gefangen. Wie in Trance streckte sie ihren Arm aus, strich Tobias behutsam die dunklen Haarsträhnen aus der Stirn und streichelte seine Haut. Tobias hatte die Luft angehalten unter der federleichten Berührung ihrer Fingerspitzen. Bedeutete das, dass sie ihn nicht abstoßend fand? Er war so verunsichert, während gleichzeitig das sanfte Streicheln Ruhe durch seinen Körper sendete.
»Ich mag deine Augen, Tobias«, sagte Anna, ließ die Finger langsam über seine Schläfe gleiten. »Wenn du sie ganz leicht nach rechts bewegst, dann siehst du mich direkt an. Kannst du das?«
Tobias wusste nicht, wie ihm geschah. Versuchte aber trotzdem ihrer Aufforderung nachzukommen, und allein die Vorstellung, er würde sie direkt ansehen, ließ seinen Magen sich zusammenziehen. Als Tobias’ Pupillen Annas trafen, spürte sie ein Kribbeln bis in die Nervenenden. Sie nahm jede einzelne faserige Zeichnung seiner Iris wahr, tauchte immer tiefer in das Grün und versank komplett darin, bis nichts mehr um sie herum existierte.
Tobias konnte Annas Augen nicht sehen, aber er fühlte sie, fühlte die Kraft dessen, was gerade zwischen ihnen geschah.
Es passierte wie von selbst, dass Annas Gesicht sich dem von Tobias Millimeter für Millimeter näherte, bis ihre Nasenspitze seine ganz zart berührte. Sie hatte den geringen Abstand zwischen den beiden nicht ausschließlich allein überbrückt, Tobias war ihr in den letzten Zügen entgegengekommen, als hätte er sie sehen können. Auf einmal waren keine Worte mehr nötig, all die Zweifel an den Gefühlen des anderen lösten sich auf.
Ihr heißer, viel zu schneller Atem traf aufeinander, ihre Herzen erhöhten sekündlich den Takt. Tobias hob sachte die Hand, legte sie auf die Stelle, wo Annas Hals in den Kiefer überging. Zum ersten Mal in seinem Leben spürten seine Finger ihr zierliches, zartes Gesicht. Ihre Haut war weich, viel weicher als seine eigene. Tobias ließ den Daumen über ihre Wange streichen, über ihre Lippen, wünschte sich, jeden Zentimeter von ihr kennenzulernen. Anna hatte die Augen geschlossen, wollte den Augenblick genauso wie Tobias wahrnehmen, wollte fühlen, wie er fühlte und konzentrierte sich ausschließlich auf ihre restlichen Sinne. Zaghaft streifte sie mit ihrem Mund über Tobias’ Lippen, spürte, wie dieser den ersten Kuss zärtlich erwiderte. Langsam fanden sie einen gemeinsamen Rhythmus, und Tobias begann unter Annas Lippen zu lächeln. So schmeckte rot.
Kein greifbarer Gegner
Der kalte Küstenwind zerrte an meiner Kleidung. Ich sog die frische Luft in meine Lungen, als wäre es mein erster Atemzug seit langem. Zwanzig Meter unter mir tobte das Meer. Die Wellen preschten gegen die Felsen und
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