Dreimal Liebe
Anna war zauberhaft. Sie bereicherte sein Leben und brachte all die Farben mit, die ihm von Geburt an fehlten.
Anfangs war Tobias noch bei jeder persönlichen Frage, die Anna ihm gestellt hatte, nervös geworden. Doch nach und nach war Tobias vor Annas Augen aufgetaut, fasste Vertrauen in sie und gewährte ihr immer mehr Einblick in seine sonst so verschlossene Welt. Es war nicht so, dass es ihm nicht trotzdem manchmal schwer fiel, aber er hatte das Gefühl, dass es richtig war, dass Anna die Richtige war.
In solchen Momenten der Offenheit hing Anna an seinen Lippen und kein anderes Geräusch auf der Welt existierte mehr für sie. Sie wollte alles über ihn erfahren, jedes noch so kleine Detail. Mit der Zeit wurden seine Verhaltensweisen, über die sich oftmals gewundert hatte, immer klarer für sie. Tobias war furchtbar streng mit sich selbst, erlaubte sich, im Gegensatz zu seinen Mitmenschen, keine Fehler. Passierten ihm doch welche, so fühlte er sich wie der größte Versager. Er hatte es nie ausgesprochen, aber Anna fühlte es. Fühlte, wie er sich selbst verurteilte. Manchmal, wenn sie ihn heimlich beobachtete, sah sie eine tiefe Traurigkeit in seinem Gesicht, die ihr tief in ihrem Herzen wehtat.
Und sie war machtlos dagegen. Das Einzige, was sie tun konnte, war mit ihm zu reden. Und das tat sie. Stundenlang.
Letztendlich gehörten diese traurigen Momente aber genauso sehr zu ihrer Freundschaft wie jene, in denen sie lachten, als wären sie unbeschwerte Kinder. Alles schweißte sie nur fester zusammen und jeden Tag wurde ihre Bindung zueinander stärker. Die Annäherung geschah nicht in großen Etappen, es waren viele kleine Schritte. Kleine Schritte, die für alle Ewigkeit ihren Abdruck hinterlassen hatten. Anna und Tobias waren verschieden – und doch waren sie gleich. Jede Schwäche bügelte der andere mit seiner Stärke aus; zusammen waren sie perfekt, wie sie es einzeln niemals sein konnten.
Anna entwickelte Gefühle, von denen sie niemals geahnt hatte, so etwas empfinden zu können. Die Anziehungskraft, die sie anfangs gespürt und damals schon als stark wahrgenommen hatte, wuchs zu etwas noch viel Mächtigeren, noch viel Gewaltigeren heran, über das sie schon lange die Kontrolle verloren hatte. Anna war ihm verfallen. Sie sah andere Jungs nicht mal mehr an. Sie existierten schlichtweg nicht.
Ob diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten, wusste sie nicht. Manchmal dachte sie es, und in anderen Augenblicken wieder nicht. Das Geständnis ging ihr nicht über die Lippen, zu schön war die Zeit, die sie miteinander verbrachten, und zu groß die Angst, mit dem Offenlegen der Gefühle alles zu ruinieren.
Die Monate strichen ins Land. Der kalte Winter, der erste, den sie gemeinsam erlebten, nahm seine eisige Kälte und seine triste Farbe mit, wich einem hellen Grün, das sich wie ein Hoffnungsschleier über die Welt legte und alles in einem ganz anderen, viel schöneren Licht erstrahlen ließ. Schon bald wurde aus dem Frühling ein warmer, lauer Sommeranfang und die zwei fanden einen Ort, den nur sie beide kannten.
Eine Blumenwiese. Vor einem großen Wald, einseitig umgeben von Bäumen und sprudelndem Bachgeplätscher. Ein kleiner, idyllischer Fleck Erde, abgetrennt von dem Rest der Welt, abgeschirmt von allen irdischen Sorgen. An diesem Ort gab es nur Tobias und Anna.
Die Wiese war in ein weiches, schimmerndes Licht getaucht, weshalb es Anna, die neben Tobias auf dem Rücken lag, so vorkam, als wäre sie in einem dieser kitschigen Gemälde von Thomas Kinkade gefangen. Mit Tobias an ihrer Seite und mit den kleinen, bunten Wildblumen und dem saftigen Gras um sie herum, fühlte sie sich wie in einem Märchen. Sanfte Sonnenstrahlen streichelten ihre Haut, während sie den leisen Atemzügen ihres besten Freundes lauschte.
Tobias hatte den Ort selbst nie gesehen, aber weil Anna ihm jedes noch so kleinste Detail beschreiben hatte, erschien ihm alles, was er anfasste, vertraut.
Anna tat so unglaublich viel für ihn. Sie war die Hand, die ihn aus der Dunkelheit herausführte. Seitdem er sie kannte, fühlte er sich nicht einmal mehr richtig blind. Anna sah für sie beide, teilte ihr Augenlicht mit ihm, und zeigte ihm eine neue Welt.
Ohne dass er es gemerkt hatte, hatte dieses Mädchen sein komplettes Leben gewendet. Die Freundschaft mit ihr war viel mehr, als er sich jemals erhofft hatte. Er würde mit allem zufrieden sein, was sie ihm gab, niemals Ansprüche stellen, sondern sich glücklich schätzen mit
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