Dreimal Liebe
jungfräuliche Geburt und die Schöpfungstheorie immer für Humbug gehalten, die Vorstellung von einem Leben im Jenseits zwar für schön, aber leider nicht realistisch empfunden. Den einzigen Glauben, den wir besaßen, war der an uns selbst und dass der Mensch nach dem Tode zur Natur wurde. Dass Gräser, Pflanzen und Bäume sich von den sterblichen Überresten nährten, dass Insekten die letzten verbliebenen Zellen in sich aufnahmen und in die Welt hinaus trugen, bis man eins mit der Erde wurde.
Doch jetzt, wo der Augenblick ihres letzten Atemzuges näher rückte, erschien es mir auf einmal nicht mehr ausreichend, wenn Sonja nur ein Teil dieses ewigen Kreislaufs werden würde. Ich wünschte mir, mich getäuscht zu haben, wünschte mir, es gäbe einen Ort, an dem ihre Seele für die Ewigkeit verweilen und dort auf Fynns und meine warten würde.
Ich wollte sie nicht loslassen. Nicht mit dem Wissen, dass ich sie niemals wieder sehen würde.
»Ich kann das nicht, Sonja, ich kann das einfach nicht.«
So oft hatten wir uns die Fragen nach dem Warum gestellt. Warum war es uns nicht vergönnt, miteinander alt zu werden? Wie war es möglich, dass jemand wie sie so jung sterben müsste?
Es gab keine Antworten. Nur die unbändige Wut und Trauer darüber, wie ungerecht die Welt war. Wir hatten niemals eine Chance gehabt. Krebs war kein greifbarer Gegner. Dieser gottverdammte Bastard hielt sich an keine Spielregeln, nistete sich ein und verteilte sich gnadenlos im Körper. Heimlich, still und leise. Zeigte sich erst zu erkennen, wenn er den Kampf schon halb gewonnen hatte.
»Ich weiß, dass du es kannst, Jan.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. Immer wieder. »Nein.«
Ich senkte den Blick wieder aufs Meer, verlor mich im Treiben der Wellen. Jeden Sommer, wenn sich das Datum unserer ersten Begegnung gejährt hatte, waren wir hierher zurückgekommen, an den kleinen Ort an der Küste. Erst seitdem Fynn auf der Welt war, hatte sich das geändert. Das Klima war zu rau für ein junges Kind, und der Zeitpunkt, Fynn für ein paar Tage in die Obhut seiner Oma zu geben, schien nie der Richtige gewesen zu sein. Somit blieben unsere Urlaube aus. Immer hatten wir vorgehabt, ihn eines Tages mitzunehmen, ihm zu zeigen, wo seine Eltern sich kennengelernt hatten. Die genaue Stelle unten am Strand, an der der Papa das Bier über Mamas weiße Bluse geschüttet hatte, nur um auf eine äußerst armselige Weise mit ihr in Kontakt zu treten.
Bis ins kleinste Detail hatte ich mir ausgemalt, wie es wäre, zu dritt, als Familie, irgendwann hierher zurückzukehren. Doch nun realisierte selbst ich, dass es niemals mehr dazu kommen würde.
»Verstehst du mich denn nicht?«
Doch. Das tue ich. Natürlich verstehe ich dich. Vielleicht sogar mehr, als du es dir vorstellen kannst. Seit dem Beginn der Krankheit hatte ich die Zukunft verdrängt. Ich wollte eine gemeinsame mit meiner Frau – eine Alternative gab es nicht. Wir drei zusammen, das war meine Zukunft.
Aber als wir vorgestern in unserem kleinen Ferienhäuschen angekommen waren, hatte sich der letzte blasse Hoffnungsschleier, der sich um unsere Zukunft gelegt hatte, endgültig in ein schwarzes Loch verwandelt.
Ich hatte sie aus dem Auto getragen und behutsam auf dasselbe Bett gelegt, in dem wir uns vor neun Jahren zum ersten Mal geliebt hatten. Ihre Augen waren damals so voller Leben gewesen, tausende Gedanken und Wünsche hatten sich darin gespiegelt. Ihre Erscheinung war von einem Licht umgeben, in das ich eintauchen wollte, und ihr schüchternes aber herzliches Lachen hatte sich in mein Herz geschlichen und mich von innen heraus erwärmt.
Vor ihrem Bett war ich stehen geblieben, hatte sie angesehen und zum ersten Mal den Kontrast zwischen meinen Erinnerungen und der Realität wahrgenommen. Hatte eine Wahrheit entdeckt, die ich so lange nicht als solche hatte akzeptieren wollen. Das Licht um sie herum war wie eine Kerze im Wind erloschen, der Glanz ihrer Augen verglüht. Nur das warme Gefühl in meiner Brust erkannte in diesem abgemagerten, gebrochenen Wesen immer noch die gleiche Frau. Meine Frau. Erkannte sie sogar deutlicher als jemals zuvor.
»Jan, ich möchte nicht warten, bis nichts mehr von mir übrig ist«, sie schluchzte, »es wird jeden Tag schlimmer. Ich kann die verdammten Schmerzen nicht mehr ertragen! Es gibt kein Zurück mehr, und der Weg nach vorne wird mit jedem Schritt unerträglicher. Alles, was ich mir wünsche, ist, wenigstens in Würde zu sterben.«
Ich griff
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