Dreimal Liebe
sein Mund wurde trocken, fühlte sich an wie bei einer Wanderung durch die vierzig Grad heiße Sahara.
»Sie ist …«
»Was ist s-sie?«
Louis’ Blick stach Joel wie tausend kleine Messer ins Fleisch. Er spürte, wie der Druck an seiner Schulter fester wurde und neigte den Kopf in Richtung Cathys Hand.
»Sie ist nicht hier«, sagte sie da.
»Wo d-d-dann?«
Joels Gedanken schweiften zurück, sahen den kleinen Katzenkörper in der dreckigen Gasse liegen. Er legte seine Hand auf Cathys und senkte den Kopf.
»Bei einem Mädchen«, sagte sie.
Die Worte schnürten sich um Joels Kehle, drückten sie so fest zusammen, dass er kaum noch Luft bekam.
»Wir waren im Prospect Park«, stammelte Cathy weiter. »Da war ein kleines Mädchen und hat mit … Cecile gespielt. Ganz lieb hatten sich die beiden, du hättest es sehen müssen. Cecile war so glücklich. Und das Mädchen … Es war krank. Schwer krank. Aber es hat so gelächelt wegen Cecile.« Cathy schluckte. »Wir sind zu den beiden hingegangen, haben gesagt, dass wir Cecile mitnehmen müssen … Und dann hat das Mädchen zu weinen angefangen. Es ist furchtbar traurig geworden, Louis.«
Wasser sammelte sich in Louis’ Augen und langsam begann er den Kopf zu schütteln. »Du-Du-Du lügst!«
»Nein, Louis, ich lüge nicht.« Cathy wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.
»Du-Du-Du weinst«, sagte er. »Joel, w-w-w-warum lügt Cathy?«
Joels Magen zog sich zusammen. »Cathy lügt nicht«, antwortete er. »Cathy weint, weil sie Cecile vermisst. Genau wie du und ich sie vermissen. Cecile hat jetzt ein neues Zuhause, Louis, ein viel besseres als das hier. Und sie muss dem kleinen Mädchen helfen, dass es wieder gesund wird.«
Louis hatte bis spät in die Nacht hinein geweint. Cathy und Joel hatten bei ihm gesessen, ihm den Rücken gestreichelt, mit ihm geredet – und doch war die Wunde in seinem Inneren zu groß, als dass die Gesten irgendetwas hätten bewirken können.
Irgendwann war er eingeschlafen, einfach so. Wie es ein Kind tat, das unter Schock stand.
Joel und das rothaarige Mädchen hatten sich zurückgezogen, lagen sich im Schlafsack gegenüber, die Augen geöffnet, die Münder geschlossen. Cathy griff nach seiner Hand, umschloss sie mit ihrer. Joel spürte ihre feingliedrigen Finger, die sich zwischen seine schoben, und konnte den Blick nicht mehr davon lösen. Bisher hatte er mit seinen Händen nur etwas getragen, etwas gehalten, etwas geschrieben, eben das, was Hände so taten. Auf diese Weise aber hatte er noch nie von ihnen Gebrauch gemacht.
»Du hast gesagt«, flüsterte Cathy, »dass du Musik magst, die zu deiner Stimmung passt. Welches Lied würdest du jetzt hören?«
Joel blickte ihr in die Augen. Da war so ein Schein um dieses Mädchen, ein helles Licht, als könnte es um Joel nie dunkel werden, solange er nur in ihrer Nähe wäre.
»Creep«, sagte er, »Creep von Radiohead.«
»Worum geht es in diesem Lied?«
Joel fuhr mit seinem Blick Cathys Gesichtszüge nach, glitt über die winzigen Unebenheiten ihrer Haut, die gerade Linie ihrer kleinen Nase, die geschwungene Form ihrer roten Lippen. Und dann war es, als würde jemand einen Spiegel zwischen die beiden schieben und Joel sah sich selbst. Sah diesen jungen Mann mit diesem verkorksten Leben und dieser verkorksten Seele, bis obenhin gefüllt mit hoffnungslosen Wünschen und Träumen, zusammengehalten von einer krankheitsanfälligen Hülle aus Vergänglichkeit.
Cathy lag neben ihm, war greifbar, und doch war sie ferner als das Universum.
»Ich habe vergessen, worum es in dem Lied ging«, sagte er leise. »Lass uns jetzt schlafen, in Ordnung?«
Cathy sah nicht so aus, als wäre das für sie in Ordnung, trotzdem erwiderte sie nichts. Nach einer Weile entzog Joel ihr die Hand, drehte sich um und wandte ihr den Rücken zu. Er wartete auf das typische Rascheln neben sich, das Zeichen, das auch Cathy sich abgewandt hatte, doch es trat nicht ein. Cathy blieb liegen, für einen langen Moment. Dann spürte er, wie sich ihr Oberkörper seinem Rücken näherte, sich sachte andrückte, und wie sich ihr Gesicht in seinen Nacken schmiegte, wie ihre Atmung auf seine Haut traf und wie ihr Arm sich um seine Hüfte legte.
Joel machte für die gesamte Nacht kein Auge zu.
~~~
Am nächsten Morgen schlich er sich, während alle noch schliefen, aus der Halle. Draußen war die Luft so viel frischer, konnte viel tiefer in seine Lungen eindringen, und es fühlte sich für ihn wie der erste richtige
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