Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreimond - Das verlorene Rudel

Dreimond - Das verlorene Rudel

Titel: Dreimond - Das verlorene Rudel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola L. Gabriel
Vom Netzwerk:
seinen Verdacht.
    »Warum …?«
    Rotpelz blieb ihm die Antwort schuldig. Wie ein Blitz schoss er nach vorn, das Maul weit aufgerissen.
    Er sah den Angriff kommen, und bei jedem anderen wäre es ihm ein Leichtes gewesen, auszuweichen. Doch Rotpelz war nicht irgendwer. Rotpelz war ein Kohortenführer.
    Schattenklaue spürte einen stechenden Schmerz, als ihm der Gegner die Zähne in sein Schulterblatt rammte. In wilder Wut wand er sich, bis es ihm gelang, den Kohortenführer von sich zu schleudern.
    Die Schmerzen ließen ihn wanken. Er zwang sich, auf den Beinen zu bleiben, und fixierte seinen Gegner.
    Langsam rappelte sich dieser auf, schlich in geduckter Körperhaltung auf ihn zu, stieß sich ab – und jagte an ihm vorbei in den Roggen.
    Er hatte es auf Pfauenauge abgesehen!
    Fieberhaft nahm Schattenklaue die Verfolgung auf. Bei jedem Sprung durch das hohe Feld schien die Zeit langsamer zu vergehen. Bei jedem Sprung schmerzte seine verwundete Schulter stärker. Er konnte nichts, rein gar nichts sehen. Der Roggen schien ihn von allen Seiten zu verschlucken, bildete einen bronzenen, alles umgebenden Tunnel. Seine Augen brachten ihn nicht weiter. Er versuchte, sich auf seinen Geruchssinn zu konzentrieren.
    Da erklang ein klagendes, schmerzverzerrtes Jaulen. Er preschte noch schneller voran. Und dann sah er sie.
    Inmitten platt gedrückter Roggenähren lag regungslos die braune Wölfin.
    Er war zu langsam gewesen.
    Ein letztes Mal öffnete Pfauenauge ihre Augen und sandte ihm so eine Bitte, die er auch ohne Worte verstand.
    Rotpelz thronte über ihr. Ihr Blut, das nicht nur sein Maul verschmierte, war in seinem feuerroten Fell kaum zu erkennen. Wieder zeigte er sein spöttisches, herausforderndes Lächeln.
    Nichts konnte ihn mehr zurückhalten.
    Wie ein schwarzer Komet fiel er über den Kohortenführer her. An jenem Abend im Roggenfeld dienten seine Zähne, seine Krallen nur noch einem Zweck.
    Und die rote Sonne erlosch.
     
    *
     
    »Ich habe es nicht für Pfauenauge getan. Nicht für den Jungen, der sich da irgendwo im Feld versteckte«, sprach Serafin zur Hohen Richterin.
    »Du behauptest, du hast es für die Schwarze Sichel getan?«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Es war kein ruhmreiches Töten. Nichts, worauf ich stolz sein könnte. Ich habe Rotpelz aus Zorn umgebracht. Dass er, der er sein Rudel so schamlos betrogen und eine Wölfin aus der eigenen Sippe getötet hatte … Dass er nach alldem noch dort stehen und grinsen konnte … Das hat mich rasend vor Wut gemacht.«
    Ungläubiges Murmeln erfüllte den Burghof.
    »Gibt es einen Beweis für deine Geschichte?«, fragte Dornstern laut, um der Unruhe Einhalt zu gebieten.
    »Es spielt keine Rolle, ob ihr mir glaubt!«, entgegnete er. »Was zählt, ist, dass ich ihn getötet habe. Das gestehe ich. Und ich weiß, welche Strafe auf den Brudermord steht …«
    Aufmerksam blickte Dornstern in seine Augen.
    »Bereust du deine Tat?«
    »Ich habe alles dadurch verloren«, entgegnete Serafin. »Ich ahnte, dass es kein zurück mehr geben würde. Obwohl doch in der Rotburg all das auf mich wartete, was mir wichtig war …« Für einen Moment blickte er Neuschnee an, die zweifelnd zu ihm hinuntersah. »Als ich Rotpelz das Leben genommen habe, fand auch das meine ein Ende«, schloss Serafin.
    »Warum hast du dann die Flucht ergriffen, anstatt dich den Kohortenkriegern zu stellen?«, fragte die Richterin. Nachdenklich blickte Serafin zu Boden.
    »Das würdet ihr nicht verstehen.«
     
    *
     
    Es war totenstill, als Schattenklaue Abschied von Pfauenauge nahm. Wenn Werwölfe starben, behielten sie ihre tierische Gestalt bei. Keiner der Bauern, der die tote Wölfin hier im Kornfeld finden mochte, würde auch nur ahnen, dass sie einmal wie sie ein Mensch gewesen war.
    Schattenklaue blickte auf zum blutrot gefärbten Himmel. Ein tiefes Heulen entfuhr seiner Kehle. Er hörte das Hecheln der anderen Kohortenkrieger. Das Rascheln im Roggen, durch den sie sich schlugen. Basalt war also auch gestorben.
    War es seine Schuld, weil er sie hergeführt hatte?
    Dennoch hatte Pfauenauge ihm zuletzt vertraut. Schattenklaue wusste, worum sie ihn im Sterben gebeten hatte. Er nahm den feinen Geruch des Kindes wahr, das die Krieger töten würden, wie sie seine Eltern getötet hatten.
    Taumelnd lief er durch den Roggen, dachte an Alkarn, an Dornstern, an den Hohen Richter – und an Neuschnee. Vor allem an Neuschnee.
    Er fand das Kind. Am Boden kauernd, die Hände verschreckt vors Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher