Dreimond - Das verlorene Rudel
die hagere Wolfsfrau mit der gelben Bauchbinde ins Wort. »Als wäre unser Kerker nicht schon voll genug!«
»Ja, merkt ihr denn nicht, was das für ein Junge ist?«, beschwor Bluter die Menge.
Bevor Serafin es verhindern konnte, hatte sich die strenge Wolfsfrau zu Carras gedrängt. Sofort wollte er den Jungen zu sich ziehen, als ihn zwei ihrer Krieger festhielten.
Carras fuhr zurück.
Sie packte ihn am Schopf, zwang ihn aufzustehen und grub ihre Nase in sein weiches Haar.
»Wahrhaftig!«, erklang ihre schrille Stimme. »Es ist Pfauenauges Sohn!«
Serafin bäumte sich in den Armen der Krieger auf, während sich immer mehr Wolfsmenschen um Carras scharten. Trotz ihrer menschlichen Gestalt wirkten sie mehr wie Tiere, als sie das Kind schnüffelnd und witternd einkesselten.
Hilflos sah Fiona zu Lex. »Tu doch was!«
Der Wolfsmann versuchte vergeblich, sich und ihr einen Weg zu Carras zu bahnen, als Neuschnees strenge Stimme erklang.
»Lasst den Zirkus! Ich kann es bezeugen. Das da ist Pfauenauges Sohn!«
»O ja, das ist er!«, brüllte Bluter triumphierend in die Menge. »Das Balg der beiden Diebe! Einer der Letzten, der das Satorakt vor seinem Verschwinden zu Gesicht bekommen hat!«
Da drängten sich die Wölfe nur noch näher um den Jungen. »Macht Platz für den Leitwolf!«, erklang die laute Stimme eines Kriegers.
Die Meute wich unwillig zurück, und Fiona konnte wieder einen Blick auf Carras erhaschen, der entsetzt auf dem Boden kauerte. Alkarn stand nun direkt vor dem Kind.
»Steh auf, Junge!«
Er schüttelte den Kopf.
»Steh auf!«, wiederholte Alkarn unnachgiebig.
»Meine Eltern haben nichts Böses getan! Sie waren keine Verräter!«, sagte Carras mit bebender Stimme.
»Alkarn«, rief Serafin. »Er hat nichts mit alledem zu tun!«
Bestürzt sah Fiona zu, wie der Wolfsmann sich nach Leibeskräften aus dem Griff seiner Wächter zu befreien versuchte.
Neuschnee warf ihm einen kurzen Blick zu.
»Du hast es mir versprochen!«, flehte er sie an. »Du hast mir versprochen, dass dem Jungen nichts passiert.«
Die Wolfsfrau tat, als bemerkte sie seine Worte und die darauf folgenden misstrauischen, missbilligenden Blicke, mit denen die anderen Wölfe sie bedachten, nicht. Hastig strich sie sich eine dünne Strähne hinters Ohr und rückte näher an Alkarns Seite.
»Du musst mir zuhören!«, bat Serafin seinen Herrscher verzweifelt.
»Er hat recht! Lasst den Kleinen in Ruhe!«, rief Lex aufgewühlt in die Menge, als Fiona und ihn zwei Wächter ergriffen.
»Bringt sie in den Keller! Alle drei!«, befahl der sonst so ruhige Herrscher mit unsteter Stimme. Fionas Herz zog sich zusammen, als Alkarn »Der Junge aber bleibt bei mir« anfügte.
Im selben Augenblick riss sich Serafin brüllend von seinen Häschern los und preschte auf Carras zu. Doch drei andere Wolfskrieger warfen sich auf ihn und drückten ihn zu Boden. Fiona und Lex versuchten vergebens, sich zu befreien, um ihm zu Hilfe zu eilen. Da sprang Carras auf die Beine. Im Nu schoben sich so viele Krieger vor ihn, dass Fiona ihn nicht mehr sehen konnte.
»Serafin! Ich bin dir nicht mehr böse, Serafin!«, rief er, als die Kohortenkrieger sie unnachgiebig fort von ihm in die Dunkelheit drängten. Sie streckte die Arme nach ihm aus. Vergebens.
*
Lex konnte es nicht fassen. Da lag er nun. Sie hatten ihn hinabgestoßen. Genau in den Keller, aus dem er Serafin hatte befreien wollen. Es war ein guter Plan gewesen. Und doch war alles schiefgegangen.
Er zuckte zusammen, als er sich aufrichten wollte. Mit zusammengekniffenen Augen sah er an sich hinunter. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch das vergitterte Fenster hoch über seinem Kopf zwängten, zeigten ihm die breiten, blutigen Schürfwunden an seinen Knien unter der zerrissenen Hose.
Mit einem zornigen Blick zur Kerkertür verwünschte er die groben Wächter.
Fiona war schon wieder aufgesprungen und klopfte sich energisch den Staub von ihrem Kleid. Am härtesten aber waren die Kerle mit Serafin umgesprungen, hatten ihn förmlich die Treppe hinuntergeschleudert.
Besorgt sah Lex zu seinem Freund. Serafin richtete sich mühsam auf, zog die Beine an und kauerte in der Dunkelheit. Nackt, wie er nach der Verwandlung zum Werwolf nun einmal war, konnte Lex all die Wunden und Prellungen auf seiner hellen Haut nur zu gut erkennen, die er sich im Kampf mit den Kohortenkriegern zugezogen hatte. Schaudernd musste Lex an die wilde Verzweiflung denken, mit der sich sein Leitwolf in den Händen
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