Dreimond - Das verlorene Rudel
den beiden Fremden zunächst mürrisch und misstrauisch gegenübergetreten, mit einem Mal aber sehr freundlich geworden, als der Vater erklärt hatte, für welche Summe er das verfallene Haus zu kaufen gedachte.
Seitdem hatte Fionas Vater keinerlei Anstalten gemacht, sich mit den Leuten im Dorf gut zu stellen und jedes Angebot, ihm für eine kleine Entlohnung bei der Renovierung zur Hand zu gehen, in den Wind geschlagen. Nur mit Nanna, der alten Kräuterfrau, die auf ihrem Weg in den Wald oft am Forsthaus vorbei kam, hatte sich ihr eigenbrötlerischer Vater angefreundet. Stundenlang hatten die beiden zusammengesessen und über Dinge diskutiert, von denen Fiona damals wenig verstanden hatte. Und doch war es jedes Mal eine Freude gewesen, wenn die gute Alte vorbeikam, die so viele Geschichten von Waldgeistern und Zauberkräutern zu erzählen wusste und die sich schon bald angewöhnt hatte, sie Fräulein zu rufen.
Fiona öffnete zögernd das Gartentor und ging an all den Kräuterbeeten vorbei zu Nannas Häuschen. Mit einem Mal hatte sie es nicht mehr eilig. Noch weniger als der Spießrutenlauf vorbei an den Dörflern, gefiel ihr der Gedanke, Nanna etwas vorzumachen. Sie hatte den Wolfsmenschen versprochen, niemandem ihr Geheimnis zu verraten. Aber wie sollte sie die Kräuterfrau dazu bewegen, nach Lex zu sehen, ohne ihr zu erklären, wer der Fremde war, der verletzt im Bett des Vaters lag?
Sie klopftte leise an die Tür der Heilerin.
*
Emerald spürte, wie sie ihm nachstarrten, als er mit ausladenden Schritten die Hauptstraße hinunterging. Vor sich, an eine der Felsnasen nahe der Dorfschenke gelehnt, erblickte er Karl Zwieker, den alten Säufer, ebenfalls ein beliebtes Witzopfer seiner Freunde.
Freunde? Von wegen!
Doch sein Ziel war die Hütte von Witzopfer Nummer drei, Nanna. Sie wusste mehr, als sie zugeben wollte, das hatte Emerald sofort bemerkt. Er würde sie schon dazu bringen, ihm alles zu verraten.
*
»Herein«, ertönte von innen die Stimme der Heilerin.
Fiona zögerte einen Moment, dann trat sie beherzt ein.
Die Wärme des Kachelofens strömte ihr entgegen, kaum hatte sich die knarzende Tür aufgetan.
Nanna stand in ihrer winzigen Kochecke und zerkleinerte ein braunes Pflänzchen im Mörser. Das Gesicht der Heilerin war umrahmt von Kamille, Salbei und Mistelzweigen – all den Heilkräutern, die die Alte, in Sträußen an der Decke aufgehängt, zum Trocknen in der Hütte aufbewahrte. Deren Duft war überwältigend.
Lächelnd legte Nanna den Stößel beiseite. Ihr langes, weißes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden.
»Schön, dass du hier bist, Fräulein. Ich arbeite gerade an einer neuen Teemischung für dich. Löwenzahnwurzeltee – was hältst du davon?«
Schlagartig verdreifachte sich Fionas schlechtes Gewissen. Auf dem Weg zum Dorf hatte sie sich zahlreiche Erklärungen zurechtgelegt, die ihr jetzt völlig unglaubwürdig vorkamen.
Weil die Kräuterfrau sie noch immer erwartungsvoll ansah, holte Fiona tief Luft. »Bitte komm mit mir zum Forsthaus, Nanna!«
»Wo brennt es denn?«, entgegnete die alte Heilerin seltsam gelassen.
»Ich … Ich …«, stammelte Fiona. »Ich habe einen Freund bei mir oben! Er ist verletzt und …«
»Mach dir keine Sorgen, Fräulein«, sagte Nanna und erhob sich. »Ich habe bereits alles vorbereitet.«
*
So betrunken war Karl Zwieker dann doch nicht. Er hatte sehr wohl mitbekommen, dass dieses magere blasse Ding ihn keines Blickes gewürdigt hatte. Nanna, die so besserwisserisch war wie eh und je und ihm, sobald sie ihm begegnete, nichts als Vorwürfe machte , nannte das Gör Fräulein. Kein Wunder, dass sie sich nun für was Besseres hielt.
Zwieker wischte sich fahrig eine Fliege von der Stirn. Es war verdammt warm für die späte Jahreszeit, zu warm für jemanden, der sehnsüchtig darauf wartete, dass die Kneipe endlich wieder aufmachte.
Das war alles so ungerecht. Den einen gab‘s der Herr im Schlaf, die anderen triezte er. Und warum? Weil ihm alles total egal war. Was sonst? Und wenn den guten Mann da oben – Zwieker blinzelte in die Herbstsonne – sowieso nichts sonderlich interessierte, dann war es ihm auch schnuppe, ob jemand soff oder nicht.
Zwieker grinste angewidert. Er musste an den jungen Pfaffen denken, der sich mit ihm eine ganze Weile so viel Mühe gegeben hatte. Keiner kann der Strafe Gottes entgehen, auch du nicht! Was in drei Teufels Namen wusste der schon? Wohnte in einem hübschen Pfarrhaus, hatte
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