Dreimond - Das verlorene Rudel
wartete ungeduldig auf die Zustimmung seiner Freunde.
Diese warfen sich verschwörerische Blicke zu und grinsten.
»Hut ab«, meinte Thorsten schließlich, »du bist der Beste im Geschichtenerfinden.«
»Find ich auch«, rief der dicke Tobi. »Gut gesprochen!«
»Nein, nein! Ich hab mir das nicht ausgedacht!« Emerald schüttelte den Kopf. »Im Ernst, das waren keine normalen Tiere.«
»Na, klar«, spöttelte Thorsten und sah Beifall heischend in die Runde. »Du gegen zehn Wölfe – du würdest ja nicht mal mit zehn Mäusen fertig!«
Mit einem wütenden Knurren, dass selbst der schwarze Wolf in jener Nacht nicht besser hinbekommen hätte, drückte Emerald seinen Kameraden an den großen Felsen am Brunnenrand. Zwar war sein Arm noch immer nicht gebrauchsfähig, aber für Thorsten würde auch einer reichen.
»Vergiss nicht, wen du vor dir hast«, brüllte er ihm ins Gesicht. »Verkauf mich nicht für blöd, verstanden?«
Thorsten schluckte.
»Lass ihn los, Emerald«, rief jetzt Sarah und umfasste seine Schulter. Ihr rotes Haar wippte aufgeregt im Wind. »Bitte!«
Er sah sie zornig an. War selbst Sarah auf Thorstens Seite? Es gefiel ihm nicht, wie sich die Sache entwickelte. Vor einer Woche waren er und sie noch zusammen um den Brunnen getanzt. Und nun das.
»Keine Angst«, stieß er hervor. »Für so einen bin ich mir eh zu schade!«
Er ließ Thorsten los und wandte sich umso entschlossener an seine Freunde. »Es geht hier nicht darum, mit wie vielen Tieren ich es aufgenommen habe. Es geht darum, dass das keine normalen Wölfe waren. Ihr hättet die mal sehen sollen. Die waren … übernatürlich! Ich schwöre es bei meinem verletzten Arm. Ich hab mir das nicht ausgedacht. Na, kommt schon. Wer hilft mir?«
Er wurde nicht gerade von Zustimmungsrufen überrollt. Tatsächlich war es still, so still, dass er sogar die federleichten Schritte der zierlichen Gestalt vernehmen konnte, die gerade den Platz passierte.
Fiona.
Es kam selten vor, dass sie ins Dorf herunterkam. Die meiste Zeit verbrachte sie allein in ihrem riesigen Forsthaus. Mit Lesen und anderem Unsinn, wie die Leute sagten.
Emerald hätte ihr gern etwas zugerufen. Mit Fionawitzen machte man sich richtig beliebt im Dorf. Doch nicht jetzt. Jetzt war ihm nicht nach Faxen zumute.
»Weißt du was?«, zischte Thorsten aus sicherer Entfernung. »Rede doch mit Fiona über deine Zauberwölfe. Sie wird dir sicher glauben!«
Erneut prusteten alle los. Selbst Sarah kicherte hinter vorgehaltener Hand.
»Jetzt reicht es«, brüllte Emerald, als sich ihm Gustav, der hochgewachsene Sohn des Tischlers, gegenüberstellte.
»Thorsten hat recht, Emerald. Wir haben deine Geschichten immer gemocht. Aber nur, solange du zugegeben hast, dass es Geschichten waren. Du gehst zu weit. Jetzt ist es nicht mehr lustig.«
Ringsum zustimmendes Nicken.
»Ich kann also nicht mit euch rechnen?«
Die Antwort erübrigte sich. Mit einem Satz sprang er auf den Brunnenrand. »Dann steh‘ ich hier also allein, verlassen von meinen ach so guten Freunden«, stellte er mit lauter Stimme fest. »Doch glaubt mir, ich, Emerald, werde es euch noch beweisen. Bei meiner Ehre! Das waren keine normalen Wölfe. Schon bald werdet ihr mich um Verzeihung bitten, weil ihr über mich gelacht habt.«
Mit einem gewagten Sprung sprang er über die Köpfe seiner Freunde hinweg und schritt, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, von dannen.
*
Den Blick stur nach vorn gerichtet, marschierte Fiona zu Nannas Hütte. Noch immer hörte sie das hämische Gelächter der Dorfjugend, das sicher wieder ihr gegolten hatte. In ihrem Rücken spürte sie den finsteren Blick des Trunkenbolds, der dort vor dem Wirtshaus herumlungerte.
Nein, hier war sie nicht willkommen. Das war ihr von Anfang an klar gewesen. Sie konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie sie vor vielen Jahren als kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters zum ersten Mal das Dorf betreten hatte. Angestarrt wie einen bunten Hund hatten die Dörfler ihren Vater und sie, die mit nichts als einem großen Karren voller fremdartigem Gepäck wie selbstverständlich in das abgelegene Dorf gekommen waren und unverblümt nach dem verlassenen Forsthaus und seinem Besitzer gefragt hatten. Wortkarg hatte man ihnen Auskunft gegeben – der alte Jäger sei schon lange tot, sie müssten sich an den Ortsvorsteher wenden – und mit dem Tuscheln und Tratschen nicht einmal abgewartet, bis sie außer Hörweite waren.
Auch der Ortsvorsteher war
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