Dreimond - Das verlorene Rudel
Dorfplatz? Wir beide …?«
»Habe zu tun.«
»Ach komm schon.« Sie lachte . »Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte!« Schon hatte sie ihn am Arm gepackt und schleifte ihn aus dem Stall.
Emerald ergab sich seinem Schicksal. Irgendwie gefiel es ihm ja auch, dass sie gekommen war. Und außerdem war Zwieker immer ein witziger Anblick.
Ein bisschen Ablenkung konnte ja nicht schaden.
*
»Möge Fiona in Frieden ruh’n. Amen!«
Als Emerald und Sarah Arm in Arm am Dorfplatz ankamen, war dieser bereits beachtlich gefüllt. Das ganze Dorf hatte sich um Karl Zwieker versammelt, um einer seiner verrückten Geschichten zu lauschen. Im Dorf waren solche Szenen überaus beliebt. Dabei genossen die Leute mehr als die Geschichten selbst, den Anblick des Geschichtenerzählers, wie er wild gestikulierte, fluchte, stolperte und hinfiel. Es gab ja sonst nicht viel zu sehen in Liebstein.
Emerald hatte schon viele Schulterklopfer dafür eingeheimst, wie meisterlich er den Saufbruder nachahmen konnte. Jetzt war ihm nicht danach. Mit Sarah stellte er sich zu den anderen in die Menge und lauschte.
»Wie oft denn noch, Karl?«, rief gerade einer der erwachsenen Zuhörer, Ben, der Vater von Sarah. »Fiona ist nicht tot!«
»Genau!«, stimmte ihm Gunnar, Emeralds Nachbar, zu. »Vor ein paar Tagen erst habe ich sie hier herumlaufen sehen.«
Zustimmendes Gemurmel.
Zwieker fuhr herum, glotzte verwirrt in die Runde, und Emerald fing gerade an, sich zu amüsieren, als ihm eine ungeliebte Stimme etwas zuraunte.
»Na, wen haben wir denn da …?«
Emerald verdrehte die Augen.
Hinter ihm stand Thorsten. »Lässt du dich auch mal wieder blicken, oh großer Wolfsflüsterer? So wie du dich abgeschottet hast, dachten wir schon, du wärst hier die zweite Fiona!«
Thorsten lachte.
Emerald wollte ihm gerade zeigen, wo der Hammer hing, als Zwieker mit einem Satz seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Nicht tot? Pah! Und dabei hab ich die Bestie gesehen – mitten im Forsthaus!«
»Jetzt komm nicht schon wieder mit diesem albernen Gerede«, keifte die alte Hannelore und deutete herausfordernd mit ihrem dürren Zeigefinger auf den Säufer. »Du willst dort oben einen Wolf gesehen haben? Dazu müsstest du es erst einmal den Hang hinauf schaffen!«
Die Menge brach in schallendes Gelächter aus.
»Pah! Wenn ihr’s mir nich’ glaubt, dann fragt doch Fiona«, brüllte Karl Zwieker.
»Wie denn, wenn sie tot ist?«, versetzte Gunnar , und die Leute lachten umso lauter.
Kichernd stieß Sarah ihm in die Seite. »Na, Emerald, hab’ ich zu viel versprochen?«
Er erwiderte ihr Lachen nur halbherzig, war er mit den Gedanken doch ganz woanders. Er war neugierig geworden.
»An wen bloß erinnern uns diese Geschichten?«, zischte Thorsten und setzte eine Unschuldsmine auf, als Emerald sich wütend zu ihm umdrehte.
»Was guckst du denn so böse? Fühlst dich doch nicht etwa angesprochen …?«
»Da war ’n Wolf, ich schwör’s euch!«, fuhr Zwieker lallend fort und nahm einen Schluck Schnaps. »Ein Wolf – und ein Mann zugleich! Sagt später nich’, ich hätt’ euch nich’ gewarnt, wenn hier die erste Leiche liegt.« Er spuckte aus. »Hab der Göre nur mal Hallo sagen wollen und schon fällt ’n Wolf über mich her! Ich konnte flieh’n, aber das Mädel war zu langsam. Entweder, der Wolf hat’s gefressen«, seine Augen funkelten geheimnisvoll, »oder die Bestie gehorcht dem Kind!«
Er raubte diesem Punkt der Geschichte viel Dramatik, als er einen weiteren Schluck aus seiner Flasche nahm und laut rülpste. Erneut brandete Spott auf, doch diesen hörte Emerald nicht mehr . Die Bestie gehorcht dem Kind …
Der Satz brannte sich regelrecht in sein Hirn ein.
Über wen hatten Nanna und Fiona damals am Gartentor gesprochen? Hatten die Verfolger der Wölfe in jener Vollmondnacht nicht nahe dem Forsthaus die Spur der Bestien verloren?
Er schluckte. Selbst wenn es nur zum Teil stimmte, was der alte Säufer erzählt hatte, konnte das kein Zufall mehr sein!
Er machte sich von Sarah los und wollte gerade weglaufen, als sich ihm Thorsten in den Weg stellte.
»Wohin so eilig? Los, sag schon!«
»Zu Fiona!«, entgegnete Emerald, stieß ihn beiseite und rannte los »Bei ihr ist zehnmal mehr los als hier!«
Er hatte eine neue Spur.
*
»Also gut! Auf geht`s!«
Im Schneidersitz, das rote Notizbuch auf dem Schoß, machte es sich Fiona auf der Wiese hinterm Forsthaus bequem. Die fuchsrote Abendsonne, die leuchtend über dem
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