Dreimond - Das verlorene Rudel
erspart geblieben war, platzierte sie die Enzyklopädie der Anderswesen neben der Milchkanne auf dem Tisch, ließ sich auf die Küchenbank sinken und strich nachdenklich über den bunten Einband des Buches, auf das sie vor nicht allzu langer Zeit noch große Stücke gehalten hatte.
Serafin setzte sich neben sie. Während er sprach, blickte er an ihr vorbei hinaus in den Wald. »Meinst du wirklich, du wirst uns je verstehen, wenn du dich weiter an alberne Gerüchte klammerst, die über uns verbreitet werden?«
Fiona sah ihn nachdenklich an. Dann erhob sie sich ruckartig, griff nach der Enzyklopädie der Anderswesen und warf das Buch in die Feuerstelle, über der sie für gewöhnlich kochte.
»Na, gibst du dich jetzt geschlagen?«, höhnte Lex.
Sie schüttelte den Kopf. »Von wegen! Ich brauche bloß keine Lügengeschichten. Ich finde die Wahrheit schon selbst heraus.«
Lex seufzte theatralisch.»Das heißt wohl, dass sie uns auch in den nächsten Tagen nicht von der Pelle rücken wird. Ehrlich, Brüder, dieses Mädchen schafft mich.«
Und wieder einmal bekam Carras einen Lachanfall.
*
Frustriert rammte Emerald den Spaten ins Stroh. Die Alte hatte es tatsächlich geschafft, ihn auszutricksen. Schon wieder! Dabei war er sich dieses Mal so sicher gewesen, dass sie ihn nicht noch einmal abhängen würde.
Nach seinem eher ernüchternden Gespräch mit Nanna, infolgedessen er in hohem Bogen aus ihrer Holzhütte geworfen worden war, hatte Emerald beschlossen, die Heilerin zu beschatten. Zwar hatte er in ihrer Hütte keine brauchbaren Hinweise gefunden, doch die alte Hexe wusste mehr über diese Wolfsbestien, so viel war sicher. Also musste er sie nur lang genug im Auge behalten. Leichter gesagt, als getan …
Seit Tagen schon verfolgte er die Alte, und bis zum Dorfausgang lief ja auch immer alles gut. Doch sobald die Hexe den Johannisforst betrat, verließ ihn regelmäßig sein Glück. Kam es ihm nur so vor oder wählte die Alte mit Absicht die unwegsamsten Strecken? Tatsache war, dass sie es ein ums andere Mal geschafft hatte, ihn abzuhängen. Sie lief nie auf direktem Weg zum Forsthaus oder machte Halt, wo er sie in Ruhe hätte beobachten können. Stattdessen hetzte sie ihn durch tückisches Gesträuch und Gestrüpp, das jeden Schritt zur Qual machte!
Wütend scheuchte er ein paar Schweine davon und ließ sich erschöpft ins Stroh fallen. Gleich musste er auch noch seinem Vater helfen, den Stall auszumisten. Obwohl sein Arm immer noch lädiert war. Als ob er nichts Besseres zu tun hätte.
Sie brauchte eine neue Strategie …!
Mit einem Mal wurde die Tür des Schweinestalls quietschend aufgerissen. Vermutlich von seinem Vater, der ihn gleich drängen würde, noch schneller zu schuften …
Doch nein, dafür waren die Schritte zu zart und zu vorsichtig. Er drehte sich um.
Sarah kam auf ihn zu. »Emerald«, sagte sie sanft und setzte sich zu ihm ins Stroh. »Was ist denn bloß los mit dir?«
Er wandte beleidigt den Kopf ab. »Ach, geh doch zu den anderen und mach weiter Witze über mich!«
»Ich habe keine Witze über dich gemacht!«, protestierte Sarah.
»Aber gelacht über Thorstens Worte hast du umso lauter …«, brummte er.
Sie senkte den Blick. »’tschuldige.«
Emerald antwortete nicht.
Sie legte ihren Arm um seine Schulter. »Sag mal, warum kommst du nicht mehr zum Brunnen? Geht’s immer noch um dieses Wolfsmärchen? Ach komm, wir wollten dich nicht ärgern. Sonst haben wir deine Geschichten doch auch …«
»Du verstehst es immer noch nicht, oder?« Wütend machte er sich los. Es kam nicht oft vor, dass er sie so anschrie. Um genau zu sein, war es das erste Mal.
»Ich hab mir das nicht ausgedacht, verdammt noch mal! Wenn du mir immer noch nicht glaubst, kannst du auch genauso gut wieder verschwinden!«
»Ach komm schon, Emerald … Es ist nur so, dass …«
Er sprang auf und griff nach dem Spaten. Am besten, er beachtete sie gar nicht.
Sarah blieb sitzen. »Emerald«, rief sie lächelnd.
Er tat, als hätte er sie nicht gehört.
»Emerald!«, wiederholte sie lauter, sprang auf und versetzte ihm einen freundschaftlichen Stoß in die Seite.
»Was ist?«, fragte er, ohne sich nach ihr umzudrehen.
»Weißt du schon die neueste Neuigkeit?«
»Nein.« Einfach nicht hinsehen.
»Es hat was mit dem alten Zwieker zu tun.«
»Interessiert mich nicht.«
»Ach, wirklich? Er ist mal wieder vollkommen betrunken und erzählt ganz verrückte Geschichten. Wie wär’s, gehen wir zum
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