Dreimond - Das verlorene Rudel
Nena am Zügel zur Stalltür lief, »trauen sich die Kerle nicht mehr so schnell raus. Die haben viel zu viel Angst.«
»Angst? Vor wem?«, fragte Fiona.
»Na, vor dir«, grinste der Wolfsmann, umfasste ihre Taille und hob sie aufs Pferd.
Carras kam mit mehreren Pferdedecken angerannt.
»Jetzt lasst uns aber von hier verschwinden!«, rief er atemlos.
Und zu dritt ritten sie in die Nacht.
Kapitel 11
Dritte Kohorte
S erafin blickte zum Himmel. Eine ganze Nacht lang hatte es gestürmt. Doch von alledem war längst nichts mehr zu sehen. Die Sonne war zurückgekehrt. Als wollte sie beweisen, dass ihr Kampf gegen die kalten Jahreszeiten noch nicht ganz verloren war, hatte sie die Düsternis und die Schlammpfützen mit hitzigem Eifer verschlungen.
Aber all ihre Mühe war vergebens. Es war nicht zu übersehen, dass der Sommer das Feld geräumt hatte. Die kahlen Bäume am Waldesrand hatten ihren Blätterschmuck verloren, der kalte Herbstwind fegte durch das Land. Und die Rotburg war nah.
»Was guckst du so grüblerisch?«, raunzte ihn Bluter von der Seite an. »Planst wohl deine Flucht, was? Ich warne dich, überleg dir gut, was du tust!«
Bluters Hass war noch gewachsen – seit der Nacht, in der Neuschnee die Fesseln des Schwarzen gelöst hatte. Doch auch in Serafin hatte sich etwas verändert. In jenem Moment, in dem er Bluter von sich gestoßen hatte, war der Schleier, die tiefe Traurigkeit, die ihn gelähmt hatte, ein Stück weit verschwunden. Sein Instinkt war wiedererwacht, und mit ihm sein Lebenswille, der Drang, sich noch nicht ganz aufzugeben. Obwohl er wusste, dass es kein zurück mehr gab. Obwohl er doch für seine Taten sühnen wollte.
Serafin hob den Kopf. Da sah er erschrocken, wie sich sechs große Gestalten aus dem Schwarz des Waldes schälten.
So früh hatte er keine Konfrontation erwartet. Es waren Späher der Sichel .
*
Fröstelnd schlang Fiona die Arme um ihren Körper. Einsam hockte sie auf einem Stein neben einer schief gewachsenen, kaum zur Hälfte mit gelblichen Blättern bedeckten Linde und starrte sehnsuchtsvoll zum Himmel. Doch die kalten Strahlen der Nachmittagssonne schenkten ihr keinerlei Wärme. Für einen Moment glaubte sie, dass alles verloren war.
Um sich abzulenken, sprang sie schließlich auf und lief ungeduldig auf und ab. Nena, die an den Stamm der Linde gebunden war, beobachtete das hektische Hin und Her mit gleichmütiger Miene.
»Dich bringt wohl gar nichts aus der Ruhe«, murmelte Fiona und strich über das dichte Fell der Stute. »Aber sei ehrlich«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »du hattest dir diese Reise auch unkomplizierter vorgestellt, was?«
Abgeklärt blinzelte das Pferd.
Da endlich, ein Rascheln im Laub. Lex und Carras! Auf der Stelle rannte Fiona den beiden entgegen.
»Und? Gibt es was Neues …?«, rief sie aufgeregt. Doch die düsteren Gesichter der Wölfe sprachen eine nur allzu deutliche Sprache.
»Nichts!«, stöhnte Carras. »Ich rieche gar nichts.«
Es war zum Verzweifeln! Gestern Abend, als sie Boscos Leuten unbeschadet entkommen waren, war sich Fiona so sicher gewesen, dass sie ab jetzt nichts, aber auch gar nichts mehr aufhalten konnte. Doch nach einer bitterkalten Nacht, in der sie jämmerlich gefroren und der Hunger sie geplagt hatte, hatte es ein noch übleres Erwachen gegeben. Der stürmische Regen hatte Serafins Fährte fortgeschwemmt. Von der Sichel fehlte jede Spur.
Wieder und wieder hatten die Wolfsmänner die Umgebung durchkämmt, auf ihrer verzweifelten Suche nach einer klitzekleinen Duftnuance, die ihnen den Weg zum Rudel weisen würde – vergebens. Fiona hatten sie diesmal mit der Aufgabe zurückgelassen, im Wald einen Mundvorrat zusammenzusuchen.
»Hast du wenigstens genug zu beißen gefunden?«, fragte Carras.
Zwar wusste Fiona dank Nanna, der Kräuterfrau, durchaus, was man wo im Wald zu essen finden konnte, doch heute war sie dabei nicht sonderlich erfolgreich gewesen.
»Kaum genug, um satt zu werden. Ein paar Bucheckern, ein paar Brombeeren und jede Menge Pilze«, zählte sie lustlos auf. Sie fand, dass ungesalzene Pilze grauenhaft schmeckten.
»Du hättest ja von dem Hasen essen können, den ich heute Morgen extra für dich erlegt habe«, murmelte Lex beleidigt.
»Darum hatte ich dich nicht gebeten!«, blaffte Fiona, ohne zu erklären, dass sie aus Mitleid mit dem toten Häschen keinen Bissen hinunterbekommen hatte. Aber wie sollte sie das einem halben Wolf begreiflich machen?
»Das war
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