Dreimond - Das verlorene Rudel
insgesamt acht .«
»Na ja … eigentlich neun …«, murmelte Breitborke.
»Ich habe ihn schon gewittert«, entgegnete Neuschnee, wobei ihre sonst so strenge Stimme von warmer, heller Vorfreude erfüllt war. »Du kannst herauskommen, Blitzschweif!«
Ein Rascheln war zu ihrer Rechten zu hören und ertappt schälte sich eine schlanke Gestalt aus dem Schatten der Bäume.
Für einen Jungen, den Serafin auf elf, vielleicht zwölf Jahre schätzte, hatte der Bursche einen sehr aufrechten, geradezu würdevollen Gang. Er schien sich nicht wie ein Kind, mehr wie ein Kommandant zu fühlen, als er festen Schrittes auf die Gruppe zuging. Sein hellblondes Haar fiel glatt und gerade bis zum Kinn. Mit dunklen Augen musterte er jeden Einzelnen der Gruppe. Mehrmals huschte sein Blick misstrauisch über Serafin, ehe er immer wieder sehnsuchtsvoll an Neuschnee hängen blieb. Als er jedoch vor der Wolfsfrau stand, gab sich Blitzschweif ungerührt.
»Gut, dass Ihr wohlbehalten zurück seid …«, erklärte er steif und fügte erst dann kaum hörbar »… Mutter« hinzu.
»Sei doch nicht so förmlich nach all den Wochen!«
Lächelnd schloss sie das Kind in ihre Arme. Ruhelos starrte Serafin von der Wolfsfrau zu dem Jungen, der nur zögernd ihre Umarmung erwiderte.
Sie hat einen Sohn …? Er hatte gewusst, dass Neuschnee die neue Alkarnswölfin geworden war. Er war es gewesen, der sie damals zurückgelassen hatte. Aber ein Kind …?
»Was machst du hier, mein Junge? Du konntest dich wohl wieder nicht an unsere Regeln halten, wie? Wenn das dein Vater erfährt«, flüsterte die Wolfsfrau, indem sie ihre Nase tief in Blitzschweifs feinem blonden Haar vergrub.
»Mit Verlaub«, seufzte Breitborke, »aber Euer Sohn ist eine Plage. Seit Wochen schon liegt er uns in den Ohren, weil …«
Rasch löste sich das Kind aus der Umarmung »… weil ich jetzt alt genug bin zum Menschenjagen! Mutter, ich will kämpfen!«
»Meinst du nicht, du bist noch ein bisschen jung?«, wandte Neuschnee lächelnd ein.
»Mit Menschen nehme ich es längst schon auf«, entgegnete Blitzschweif.
»Sollen wir ihn nach Hause schicken?«, zischte Fangzahn.
»Mutter«, rief Blitzschweif empört. »Schickt mich nicht zurück! Bitte gebt mir endlich eine Chance, zu zeigen, dass ich würdig bin, zur Schwarzen Sichel zu gehören.«
Ungläubig betrachtete Serafin den Jungen, der – obwohl jünger als Carras – überhaupt nicht mehr kindlich wirkte. Neuschnee blickte nachdenklich von dem Jungen zu Serafin.
»Also gut.«
Blitzschweifs Augen weiteten sich. Breitborke und Fangzahn tauschten irritierte Blicke aus.
»Ich habe eine besondere Aufgabe für dich«, deutete die Wolfsfrau geheimnisvoll an.
»Wirklich?«, entfuhr es Blitzschweif.
» Neuschnee, ist dir klar …?«, setzte Bluter grimmig an.
»Ja, ich habe mich entschieden«, unterbrach ihn Neuschnee streng. »Wir gehen zu dem Weiler – wir alle! Also keine Widerrede, bevor ich es mir anders überlege. Das gilt sowohl für meinen Sohn als auch für dich, Bluter.«
Entschieden drehte sie ihm den Rücken zu und ging voran. Beller konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Bluter schüttelte den Kopf und folgte Neuschnee. Wie selbstverständlich schoben sich zwei der jüngeren Wölfe links und rechts neben Serafin, als die Kohorte weiterzog.
»Komm nicht auf dumme Gedanken, Verräter!«, zischte der Linke verächtlich.
»Na, freust du dich schon auf die Verhandlung?«, höhnte der Zweite und rempelte, wie aus Versehen, gegen Serafins Schulter.
Doch Serafin bemerkte die Burschen kaum. Ihn grämte nur die Verzögerung. Er wollte sich endlich seiner Vergangenheit stellen und in Alkarns Augen blicken, der so viele Jahre sein Herrscher gewesen war – und sein Freund.
*
»Komm runter, Anton! Bitte!«, rief Mona so laut sie konnte das hölzerne Fachwerkgerüst hinauf. So weit oben saß ihr Liebster doch gar nicht!
Eigentlich musste er sie hören, auch wenn er gerade mit zwei anderen Freunden an so einem doofen Holzbalken herumhämmerte.
Wie langweilig!
» Anton, komm! Ich habe auch Kuchen und Apfelsaft dabei!«, ergänzte Mona nach einem kurzen Räuspern noch schriller. Ihre braunen Zöpfe wippten auf und ab, als sie schwungvoll mit Teller und Tonkrug winkte.
Einer der Jungen neben Anton schielte kurz grinsend zu ihr herunter. Sie konnten sie also doch hören!
»Anton! Sag was! Sonst rede ich den ganzen Tag kein Wort mehr mit dir!«
»Mona! Ich kann jetzt nicht!«, erklang wehleidig
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