Dreimond - Das verlorene Rudel
undankbar, ein solches Geschenk abzulehnen!« Lex nahm mit betont weitem Abstand neben ihr Platz . Er nahm ihr das doch jetzt nicht wirklich übel? Sie beschloss, lieber wieder auf das eigentliche Problem zurückzukommen.
»Ach, Carras«, wandte sie sich an den Wolfsjungen, der gerade auf einer Buchecker herumkaute, »gibt es denn wirklich keine Spur von Serafin?«
»Wie oft denn noch? Nein!«, mischte sich Lex ein »So ein Mist, so ein riesengroßer Mist! Warum muss es auch gerade jetzt Sturzbäche regnen? Ein bisschen Regen, das kommt vor, das hätte nicht geschadet, aber warum muss es so ein gottverdammter Sturm sein, der jede Spur unkenntlich macht? Dabei bin ich mir sicher, dass wir nah dran waren! So nah dran …!«
Verdrossen blicken die drei ins Leere, während sie lustlos ihr bisschen Nahrung verspeisten. Nena schüttelte sich unbehaglich. Eine ganze Weile saßen sie so da, als plötzlich ein eisiger Windhauch aufkam, Beeren und Nüsse umherwirbelte und Fiona einen Kälteschauder über den Nacken jagte. Sie bemerkte, wie Carras besorgt zu ihr blickte. Beschwichtigend lächelte sie ihm zu, doch schon wandte er sich an Lex.
»Hör mal, uns fehlt nicht nur der Proviant, wir brauchen auch wärmere Kleider. Ich weiß, auch du riechst in der Nähe einen Bauernhof. Vielleicht sollten wir …«
»Ja!«, rief Fiona begeistert. »Wir gehen hin, bitten die Leute um Einlass und …«
»Niemals!«, erhob Lex die Stimme.
»Hör doch mal …«, wollte Fiona einwenden.
»Keine Diskussionen diesmal!«, unterbrach er sie unwirsch. »Letztes Mal, als du unbedingt in dieses Wirtshaus wolltest, habe ich nachgegeben. Wir wissen alle, in was für einen Schlamassel wir dadurch geraten sind.«
Fiona rang nach Luft.
»Willst du damit sagen, es wäre meine Schuld, dass diese Kerle dir an den Kragen wollten? Und hätte ich nicht den Revolver …«
»… mit dem du mich und Carras fast erschossen hättest!«
»Das ist alles, was dir dazu einfällt? Beim nächsten Mal, wenn du meine Hilfe brauchst …«
»Hört auf!«, rief Carras außer sich.
Verwundert hielten Lex und Fiona inne.
»Wir haben jede Spur von der Sichel verloren. Wir wissen nicht, wie es Serafin geht, ob sie ihm nicht längst schon etwas angetan haben … Und ihr zwei zankt herum wegen … wegen so eines Blödsinns!«
Tränen standen in Carras’ Augen.
Nena scharrte unruhig mit den Hufen.
Fiona und der Wolfsmann sahen sich schuldbewusst an. Tröstend rubbelte Lex erst Carras’ Schopf, dann Nenas Stirnmähne.
»Du hast ja recht«, gab Fiona kleinlaut zu. Sie konnte Carras’ Worte nicht vergessen.
Was, wenn sie ihm längst schon etwas angetan haben …?
*
Serafin blieb wie angewurzelt stehen, als die sechs Gestalten starren Schrittes über den Waldweg auf ihn zukamen. Ihr Wolfsduft erfüllte die nasskalte Luft. Bald waren sie deutlich zu sehen. Fünf Männer und eine Frau.
Er wusste, was es mit den breiten rostroten Bauchbinden auf sich hatte, die sie alle in gleicher Weise über ihren ansonsten schmucklos braunen Kleidern trugen.
Krieger der Dritten Kohorte.
Auch er hatte einmal ein solches Band besessen – vor langer, langer Zeit. Neben ihm stieß Bluter einen Pfiff aus, als er die sechs erkannte. Schon preschte er vorwärts, dass die Steinchen auf dem Waldweg nur so aufgewirbelt wurden.
»Na, wenn das nicht meine Jungs sind!«, rief er offensichtlich hocherfreut den Sechsen entgegen.
»Es ist der Kommandant! Bluter ist zurück!«, jubelten die Wölfe, während sie ihn begeistert umringten. Jedem Einzelnen von ihnen klopfte der Wolfsmann kräftig auf die Schultern.
Bluter war Kommandant der Dritten Kohorte …? Serafin beobachtete starr die Szene, bis Neuschnee sich zu ihm umdrehte und mit einem Nicken befahl, weiterzugehen.
Die freudigen Gesichter der Wolfsmenschen gefroren, als sie erkannten, wer da auf sie zukam.
»Schattenklaue, der Verräter … Ihr habt ihn tatsächlich erwischt«, flüstere der, der Bluter am nächsten stand. Fangzahn war sein Name. Schon damals unter Rotpelz hatte er voller Eifer in der Dritten Kohorte gedient. Sein mit Narben übersätes Gesicht war unverkennbar. Serafin hatte einmal gehört, dass Menschen, lange bevor die Schwarze Sichel Fangzahn zu ihrem Krieger gemacht hat, den umherstreunenden Wolfsmann abgefangen und nur zum Spaß so zugerichtet hatten. Seitdem lief er stets geduckt, als läge er jede Sekunde seines Lebens auf der Lauer. Auch Beller, eine kleine, aber äußerst kräftige
Weitere Kostenlose Bücher