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Dreimond - Das verlorene Rudel

Dreimond - Das verlorene Rudel

Titel: Dreimond - Das verlorene Rudel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola L. Gabriel
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meisten, auch viele der Frauen, ihr Haar so kurz wie möglich – weil sie mit Stolz jenes Brandmal auf dem Nacken zeigten, das Serafin für lange Zeit verborgen hatte.
    So viele waren schon hier versammelt? War der Vollmond so nah …? Serafin hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
    Plötzlich ließen Graufuß und Ginster ihn los. Hart kam er inmitten des Mosaiks auf, unterdrückte den Schmerz, stemmte seinen Körper mit den Unterarmen hoch – und sah sich von feindlichen Gesichtern umringt. Die Wolfsmenschen, die sich um ihn versammelt hatten, hoben angewidert das Kinn und bleckten wie Tiere die Zähne. Immer enger umkreisten sie ihn, den Verräter, als Serafin das Ächzen der Turmpforte vernahm.
    Schwere Stiefel schritten über den steinernen Hof. Serafin erkannte den starken, bittersüßen Geruch sofort. Die Menge teilte sich, schon stand er vor ihm, Alkarn, der Leitwolf. Langsam sah Serafin zu seinem Herrscher auf.
    Alkarn war kein König in seidener Robe. Er trug dieselbe braune Kleidung wie sein Rudel, doch über seinen breiten Schultern lag ein schwarzes Bärenfell. Eine ebenso dunkle Bauchbinde zierte seinen stämmigen Leib. Auf dem kantigen Gesicht war auf der linken Seite vom Kinn bis zur Stirn, größer als bei jedem anderen Wolf, ein Halbmond eingebrannt. Das schwere, schwarze Haar war straff zurückgebunden.
    Serafin gelang es, in dem starren Blick zu lesen, mit dem der Leitwolf auf ihn niedersah. Kalte, gnadenlose Rachsucht und bittere Enttäuschung standen in den von Falten umzeichneten graugrünen Augen.
    »Du bist zurückgekehrt«, sprach Alkarn mit tonloser Stimme.
    »Ich …«, setzte Serafin an und hielt inne. Trotz aller Zweifel an dem Tun der Schwarzen Sichel verspürte er den Wunsch, den Hauptmann, den er ohne ein Wort der Erklärung verlassen hatte, um Verzeihung zu bitten.
    »Der Verräter«, unterbrach ihn Bluter, der sich nach einer kurzen Verbeugung vorwärtsdrängte, »hat es uns Jägern alles andere als leicht gemacht. Noch am ehemaligen Lanzburger Weiler hat er seine Fesseln zerrissen und ist davongerannt!«
    Die Augen des Leitwolfs verengten sich. Ein Grollen ging durch das Rudel.
    »Die Alkarnswölfin hat sich dem Flüchtigen entgegengestellt! Nur so hat Ginster ihn ausschalten können«, fuhr Bluter eifrig fort und deutete mit einer anerkennenden Geste auf die blonde Wolfsfrau.
    »Neuschnee, komm zu mir!«, bat der Herrscher.
    Sie trat zögernd aus der Menge.
    Alkarn lief ihr entgegen, umarmte sie und strich ihr mit der breiten Hand über ihre zarte Wange, auf der sich ein langer Schnitt abzeichnete.
    Neuschnee rührte sich nicht, doch Serafin sah, wie sich ihr Körper anspannte.
    »Ich wusste«, rief Alkarn in die Menge, »wenn jemand Schattenklaue zur Rotburg bringen kann, ist es meine Neuschnee .« 
    »Es war nicht leicht, mein König«, entgegnete sie kalt. Das Lächeln wich von Alkarns Lippen.
    Aus den Augenwinkeln sah Serafin, wie Blitzschweif seinen Eltern den Rücken zukehrte und in der Menge verschwand.
    Da blickte der Anführer erneut auf ihn nieder.
    »Ich habe …«, versuchte Serafin noch einmal, sich Gehör zu verschaffen, doch diesmal überwog Alkarns Zorn.
    »Bevor der Verräter seine gerechte Strafe erhält, wird mir meine Wölfin von ihrer entbehrungsreichen Reise und von dem Vorfall am Weiler berichten«, entschied der Herrscher mit donnerndem Groll. »In den Kerker mit ihm!«
    Ginster und Graufuß packten Serafin und zogen ihn mit sich. Nur einmal noch konnte er sich nach Alkarn umsehen, der gefolgt von Neuschnee im Roten Turm verschwand. Dann wurde er in die Tiefe gestoßen.
     
    *
     
    Fröstelnd stieg Neuschnee die Turmstufen hinauf. Die schmalen Scharten im Gemäuer, durch die die Menschen einst mit ihren Schießeisen erfolglos die Burg vor der Sichel zu verteidigen versucht hatten, ließen wenig Licht, wohl aber Kälte in den düsteren Treppengang strömen. Endlich hatten Alkarn und die Wolfsfrau den Eingang zum Herrschergemach erreicht. Schwalbenschwanz, der Wachmann, öffnete ehrerbietig die massive Holztür. Eilig traten sie ein.
    Im Turmzimmer war es wärmer als im Treppengang – jedes noch so kleine Fenster war mit Holzbrettern vernagelt und unzählige Tierfelle bedeckten lückenlos den Steinboden. Neuschnee hatte es nicht vermisst, das Herrscherzimmer. Ihr war unwohl, wie jedes Mal, wenn sie in Alkarns Gemächer trat. Die gewaltigen Geweihe, die an dem runden Mauerwerk hingen, waren ihr zuwider. Von allen Seiten zeigten die spitzen,

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