Dreizehn bei Tisch
ungefähr bei Nummer 8. Dann stiegen der Herr und die Dame aus; der Herr blieb stehen und hieß mich warten, während die Dame über die Straße ging und an der gegenüberliegenden Häuserreihe entlangschritt. Den Rücken mir zugekehrt, sah der Herr ihr nach. Hatte beide Hände in den Taschen. Vielleicht fünf Minuten später hörte ich ihn etwas sagen – ich glaube, es war nur ein Ausruf, und dann ging er gleichfalls davon. Ich behielt ihn im Auge, weil ich nicht um das Fahrgeld geprellt werden wollte, sah, wie er drüben die Stufen zu einem der Häuser hinaufstieg und in der Haustür verschwand.«
»Stand die Tür denn offen?«
»Nein, er hatte einen Schlüssel.«
»Wissen Sie die Hausnummer?«
»Siebzehn oder neunzehn, denke ich. Nach weiteren fünf Minuten kamen der Herr und die Dame zusammen wieder heraus, stiegen ins Auto und wollten zur Covent-Garden-Oper zurückgefahren werden. Kurz vorher ließen sie mich halten und bezahlten mich. Bezahlten mich sogar überreichlich, alles, was recht ist. Aber nun habe ich ihretwegen doch noch Scherereien, scheint mir.«
»Sehen Sie sich mal diese Bilder an, und sagen Sie mir, ob die junge Dame sich darunter befindet«, forderte Japp ihn auf und legte ihm ein halbes Dutzend Fotografien vor.
»Das war sie«, erklärte Jobson, und sehr entschieden deutete sein Zeigefinger auf ein Bild Geraldines in Abendtoilette.
»Sicher?«
»Ganz sicher. Bleich war sie und dunkel.«
»Jetzt suchen Sie den Mann.«
Eine weitere Reihe Fotografien wurde ihm ausgehändigt, die er gründlich musterte und dann mit einem Kopf schütteln zurückgab. »Kann ich nicht genau sagen. Von diesen beiden könnte es einer sein.«
Unter den Fotos war auch eines von Ronald Marsh, aber Jobson hatte es übergangen; immerhin bestand eine entfernte Ähnlichkeit zwischen den beiden Köpfen, die der Mann herausgegriffen hatte, und dem neuen Lord Edgware.
Der Inspektor entließ Jobson und warf die Bilder in eine Schublade.
»Das kommt davon, dass ich nur eine sieben oder acht Jahre alte Fotografie des Lords auftreiben konnte. Natürlich wäre mir eine genaue Feststellung seiner Person lieber gewesen, aber auch so ist die Sache klipp und klar. Ha, da gingen ein paar anscheinend blitzsaubere Alibis in Scherben! Gescheit von Ihnen, Monsieur Poirot, an so was zu denken.«
Poirot setzte seine allerbescheidenste Miene auf, was ihm sehr gut gelang.
»Als mir bekannt wurde, dass Vetter und Kusine beide die Oper besucht hatten, rechnete ich mit der Möglichkeit, dass sie während einer der Pausen zusammen gewesen waren. Natürlich ahnten weder die Dortheimers noch die Carthew Wests, dass sie das Opernhaus verließen. Doch eine halbstündige Pause bietet hinreichend Zeit, um nach Regent Gate und zurück zu fahren. In dem Augenblick, als der neue Lord Edgware solch ein Gewicht auf sein Alibi legte, begann ich Verdacht zu schöpfen.«
»Sie sind ein argwöhnischer Geselle, he?«, sagte Japp fast zärtlich. »Ja, ja, in dieser Welt kann man nicht argwöhnisch genug sein. Und nun lesen Sie dies hier.« Er reichte ihm ein Papier. »Telegramm aus New York, wo man Verbindung mit Miss Lucie Adams aufnahm. Der Brief wurde ihr heute mit der Morgenpost zugestellt, und sie weigerte sich, das Original aus der Hand zu geben, sofern es nicht unbedingt erforderlich sei. Indessen gestattete sie dem Beamten sofort, es abzuschreiben und uns den Inhalt wortgetreu zu kabeln. Und er ist so enthüllend, wie man es sich nur wünschen kann.«
Poirot nahm das Blatt, und ich las, über seine Schulter gebeugt:
Nachstehend der Text des Briefes an Lucie Adams, datiert 29. Juni, Rosedew Mansions 8, London SW. Lautet:
»Liebe, kleine Schwester,
es tut mir leid, dass ich Dir vergangene Woche nur ein paar flüc h tige Zeilen schrieb, aber meine Zeit war sehr in Anspruch g e nommen, vor allem durch geschäftliche Dinge. Dafür, mein liebes Kleines, kann ich Dir heute von einem großen Erfolg berichten. Glänzende Rezensionen, ausverkauftes Haus und überall warmes Entgegenkommen und Liebenswürdigkeit! Ich habe hier ein paar wirklich gute Freunde gewonnen und hoffe, nächstes Jahr ein Theater für zwei Monate zu mieten. Der russische Tänzer-Sketch fand viel Anklang desgleichen die Amerikanerin in Paris, doch am meisten rissen die Szenen in einem internationalen Hotel das Publikum hin. Ich bin so aufgeregt, dass ich kaum weiß, was ich schreibe, Schwesterchen. Gedulde dich nur noch eine Minute, dann wirst Du auch den Grund erfahren.
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