Dreizehn Stunden
Hubschraubers
drang durch die zugezogenen Gardinen. Das Wapp-Wapp der Rotoren wurde immer lauter. Er wartete, bis es abebbte.
»Sie haben sich Vorwürfe gemacht. Haben gedacht, es sei Ihre Schuld.«
Sie betrachtete ihn noch immer schweigend.
»Aber das war es nicht. Es gibt Männer, die sind so«, sagte er. »Es ist eine Krankheit. Eine Sucht.« Sie nickte, als wolle
sie noch mehr hören.
»Eine Droge für die Seele. Ich glaube, solche Männer fühlen sich innerlich leer. Sie finden keine Erfüllung. Vielleicht hilft
es eine Weile lang, ein, zwei Tage, dann fängt es wieder von vorne an. Ich glaube, es gibt einen Grund dafür. Diese Männer
haben kein Selbstwertgefühl, es ist ihre Art …« Sein weißes Afrikaans ließ ihn im Stich.
»Anerkennung zu suchen«, ergänzte sie. Er wartete, ließ ihr alle Möglichkeiten offen. Aber sie sah ihn unverwandt an, aufmunternd,
fast flehentlich.
»Genau – Anerkennung. Vielleicht mehr als das. In ihrem Inneren ist etwas zerbrochen. Ein alter Schmerz, der nie ganz vergeht.
Er kehrt immer wieder, immer stärker zurück. Das Gegenmittel hilft immer weniger, es ist ein …« Wieder suchte er nach dem
richtigen Wort, begleitet von einer Geste, diesmal allerdings absichtlich, damit sie wieder fortfuhr.
»Ein Teufelskreis.«
»Genau …«
|416| Sie zerstörte die Atmosphäre nicht, die er schuf. Erst zögerte Dekker, aber dann fuhr er fort: »Er hat Sie geliebt, auf seine
Art. Ich glaube, er hat Sie sehr geliebt. Ich glaube, er wollte Sie gar nicht verletzen, aber jedes Mal, wenn er es getan
hatte, sank seine Selbstachtung noch weiter, weil er wusste, dass er Ihnen wehtat. Er wusste, was er anrichtete. Das wiederum
war dann ein Grund, es wieder zu tun – fast ein Akt der Selbstzerstörung. Wie ein Tier, das sich selbst auffrisst. Wenn ihm
eine Frau zu verstehen gab, dass sie ihn begehrte, sagte ihm das, so schlecht sei er ja gar nicht, und dann dachte er nicht
mehr nach, sondern gab sich seinen Trieben hin. Es war wie ein Fieber, das ihn überkam, er konnte es nicht verhindern. Man
will, aber man kann es nicht, auch wenn man seine Frau noch so sehr liebt.« Dekker hielt abrupt inne, als er seinen Fauxpas
bemerkte, und lehnte sich langsam im Stuhl zurück.
Er sah sie an. Hatte sie es bemerkt?
Nein, sie wirkte geistesabwesend. Dann sagte sie: »Ich habe ihn gebeten, Hilfe zu suchen.«
Hoffnung keimte in ihm auf. Sie blickte zu ihrem Nachtschränkchen. Über der Schublade gab es einen Schlitz, aus dem man Taschentücher
ziehen konnte. Sie zupfte eines heraus, wischte sich nacheinander über beide Augen und knüllte den dünnen Zellstoff mit einer
Hand zusammen. »Eine Zeitlang habe ich versucht, Verständnis für ihn aufzubringen. Damals glaubte ich, einen kleinen Jungen
in ihm zu erkennen, einen ungeliebten, einsamen Jungen. Aber ich konnte mir nicht sicher sein, er hat nie mit mir darüber
geredet, ich habe nie herausgefunden, woran es wirklich lag. Denn was ist die Ursache? Woher kommt meine Sauferei? Von meinen
Ängsten, meiner Unsicherheit? Meinen Minderwertigkeitskomplexen? Ich habe in meiner Kindheit geforscht, denn das ist der einfachste
Ausweg. Schieb deinen Eltern die Schuld in die Schuhe. Ja, sie haben Fehler gemacht, ja, sie waren nicht perfekt, aber das
reicht nicht als … Rechtfertigung. Das Problem ist, es liegt an mir. Es ist die Art, wie meine Atome schwingen, es ist ihre
Frequenz, ihre Tonhöhe, der Notenschlüssel, in dem sie singen.«
Er vermutete, worauf sie hinauswollte.
|417| »Niemand kann einem helfen …«, ermunterte er sie.
»Außer man selbst.«
»Er war nicht imstande, sich zu ändern.«
Sie schüttelte den Kopf. Nein, Adam Barnard konnte sich nicht ändern. Am liebsten hätte Dekker jetzt gesagt: Und da haben
Sie etwas geändert, aber er wollte ihr die Chance geben, es selbst zu sagen.
Sie ließ sich gegen die Kissen sinken, als sei sie sehr müde.
»Ich weiß nicht.« Sie seufzte tief.
»Was?«, fragte er, eine geflüsterte Einladung.
»Haben wir eigentlich das Recht dazu?«, sprach sie. »Menschen ändern zu wollen? Damit sie uns passen? Damit sie uns vor uns
selbst beschützen? Schieben wir damit nicht nur die Verantwortung von uns weg? Meine Schwäche gegen seine. Wenn ich stark
gewesen wäre – oder er. Unsere Tragödie lag in der Kombination, der eine war der Katalysator des anderen. Wir waren … eine
unglückliche chemische Verbindung.«
Seine Viertelstunde war gleich um.
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