Drift
war eine Männerstimme, die rief: »Jungs, es reicht, er hat genug, macht besser, dass ihr davon kommt – und hey: Das mit der Flasche war Scheiße, mies, absolute mieseste Scheiße! Gleich werden Ambulanz und Polizei hier sein, also haut besser ab!«
Martin brachte in seinem betrunkenen und durchgehämmerten Kopf die Taschentücher auf seiner Wange und die Worte des Typs nicht in Einklang, bis sich ein sympathisches Gesicht zum Gesicht des hübschen Mädchens gesellte und sagte: »Wie geht’s dir, Kumpel, zeig mal her …« Und zum sympathischen Gesicht gehörte die Stimme, die gesagt hatte, dass das mit der Flasche keine gute Idee gewesen sei, und da merkte Martin, dass die Taschentücher klatschnass waren und realisierte auch, warum das vermutlich der Fall war; er nahm die Papiertücher kurz runter, um sie anzusehen, und tatsächlich: Sie waren mit dunklem Blut vollgesogen.
»Scheiße«, murmelte er.
»Nicht!«, schalt ihn das Mädchen und drückte frische Tücher gegen die Wunde. »Du darfst nicht loslassen, drück weiter drauf, verstehst du mich?«
Martin nickte und sah zum Typ hoch, der am Handy mit jemandem |254| sprach und sagte: »Große, klaffende Wunde an der Wange. Ja. Nein. Bierflasche. Weiß nicht, ob Splitter drin stecken. Gut. Okay.«
Er hängte auf, steckte das Telefon ein und ging wieder vor Martin in die Hocke.
»Die Ambulanz ist gleich da. Komm, ich begleite dich zur Straße runter.«
Martin nickte, traute sich nicht, den Mund zu öffnen, aus Angst, dass er dadurch bereits angeschnittenes Gewebe aufreißen könnte.
»Mein Name ist Andrea«, sagte der Typ und half ihm auf. »Aber nenn mich Fred. Alle nennen mich Fred.«
Er hielt Martin die Hand hin und Martin schüttelte sie.
»Martin«, presste er zwischen den Zähnen hervor und sah das Mädchen an. Sie lächelte, schüttelte den Kopf und sagte: »Gut, ihr scheint so weit alles im Griff zu haben. Ich mach mich dann auf den Weg. Und Martin – pass bitte ein bisschen besser auf dich auf, ja?«
Martin sah Fred fragend an, aber der zuckte nur mit den Schultern und sah ihr nach, bis sie mit ihrer Kollegin, die ein paar Meter entfernt auf sie gewartet hatte, um die nächste Ecke verschwand.
»Komm«, sagte Fred und lächelte Martin an, »die Ambulanz wird gleich da sein.«
Im Krankenhaus war Martin gleich an der Reihe, kein Autounfall, keine Tätlichkeiten und Körperverletzungen sonst, in dieser Nacht schien er der einzige zu sein, der es geschafft hatte, verletzt zu werden.
»Legen Sie sich hin«, sagte der Arzt, der schon die Handschuhe an- und seine Chirurgenmaske aufhatte.
Martin zog die Jacke aus und legte sich auf den OP-Tisch.
»Frau Kosulic, bitte.«
Martin fragte sich, wen der Arzt meinte, als eine hochgewachsene, ebenfalls mit Mundschutz und Gummihandschuhen bewehrte Krankenschwester mit einem silbernen Tablett hereinkam und es auf das Instrumenten-Tischchen neben dem OP-Tisch stellte.
|255| Martin versuchte, mit den Augen zu lächeln, und die Operationsschwester nahm seinen schwachen, verkrampften Versuch wahr und lächelte ihn unter der Maske an.
»Drehen Sie sich zu mir, bitte«, sagte sie und winkte mit einem in Desinfektionsmittel getunkten Wattebausch.
»Jetzt auf die Zähne beißen.«
Wenn Frauen einem sagten, man solle auf die Zähne beißen, das hatte Martin in seinem bisherigen Leben gelernt, tat es im allgemeinen verdammt weh, und so war es auch dieses Mal, und Tränen schossen ihm in die Augen.
»Au«, jammerte er durch die Zähne.
»Gleich vorbei«, sagte sie und wischte noch ein paar Mal sanft mit dem höllisch brennenden Zeug über die Wunde.
»So. Fertig.«
Der Arzt näherte sich dem Tisch.
»Sie werden gleich einen Stich verspüren«, sagte der junge Arzt und nahm die Spritze, die ihm die Schwester über Martin hinweg hinhielt.
»Ich weiß«, zischte Martin und es tat ihm leid, dass es so aggressiv klang, das war nicht seine Absicht, »Lokalanästhesie.«
Unbeeindruckt von Martins Kommentar spritzte der Arzt ein bisschen der Betäubungsflüssigkeit in die Luft, um sicherzugehen, dass sich keine Luftbläschen in der Nadel befanden, und senkte die Spitze der Nadel in Martins Wange.
Martin zählte mit: sechs Einstiche.
Der Arzt gab der OP-Schwester die Spritze zurück.
»Nadel, bitte«, sagte er und hielt die Rechte mit geöffneter Handfläche über Martins Gesicht.
»Bitte sehr«, sagte die Schwester und gab dem Arzt eine lange Zange in die Hand. Festgeklemmt zwischen den Zangen die feine,
Weitere Kostenlose Bücher