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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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hält der Bus in Zürich und man steigt aus, erwidert den Gruß des Busfahrers und geht über den großen, leeren Platz auf das blaue Gebäude zu, auf dem »Hotel« steht. »Haben Sie ein Telefon? Mit Kleingeld?«, fragt man den übernächtigten Rezeptionisten und er zeigt stumm nach rechts, wo es eine Nische gibt. Man bittet ihn um Kleingeld. Er wechselt einem eine Note und man geht zum Telefon, nimmt den Zettel mit der Kontaktnummer heraus und wählt. »Hallo?« – »Hi«, sagt man und wie verabredet: »Grüße von Zeljko.«
    Wo man sei, fragt eine unfreundliche Männerstimme und man sagt es ihm und er sagt, er sei in zehn Minuten da, man solle vor dem Hotel auf ihn warten. Man geht durch die Lobby, grüßt erneut den Rezeptionisten und stellt sich draußen neben den Eingang. Zehn Minuten später fährt ein schwarzer BMW vor. Man geht zur Beifahrertür, schaut rein, der Mann winkt, man solle einsteigen. Man öffnet die Tür und setzt sich neben ihn ins Auto, den Rucksack |285| auf dem Schoß. »Angurten«, sagt der Mann, legt den ersten Gang ein und fährt los. Man tut, wie einem befohlen, und beschließt, sich einzuprägen, wo er hinfährt, ein mulmiges Gefühl im Bauch. Langsam und nur für den äußersten Fall lässt man den Rucksack zur Seite kippen und steckt vorsichtig die Hand hinein, wühlt tiefer, bis man die Finger am Revolvergriff hat. Man dreht den Rucksack ein wenig, bis man ihn so gedreht hat, dass man im Rucksack abdrücken könnte und die Kugel den Mann durch den Stoff in den Bauch treffen würde. Aber das ist nicht nötig, weil er nur um die Ecke fährt und anhält. Er dreht sich zu einem, sieht einen wortlos an. Er trägt schwarz, ist etwa vierzig, massiv. Er starrt weiter, also öffnet man den Rucksack und holt die zwei Pakete raus. Ein Messer blitzt in seiner Hand auf. Er nimmt einen Packen, sticht rein und leckt das Pulver von der Klinge ab. Wiederholt das Ganze mit dem zweiten Paket. Er greift in seine Innenjacke, zieht ein Couvert heraus, hält es einem hin. Man greift danach, aber er zieht einem das Couvert zwischen den nicht ganz geschlossenen Fingern weg. »Fünftausend Franken«, sagt er. Man rechnet, verzieht aber keine Mine. Fünf, hat Zeljko gesagt, vermutlich pro Kilo, also sagt man, ohne großartig zu überlegen: »Acht, nicht fünf.« Der Mann sieht einen belustigt an, verzieht den Mund langsam zu einem breiten Grinsen. »Gut«, sagt er, »gut.« Er fasst nochmals in die Innenjacke, zieht einen zweiten Umschlag hervor, legt ihn auf den anderen und hält sie einem hin. Als man danach greift, packt er die Hand mit beiden Händen und sieht einem mit völlig verändertem Ausdruck, dunkel und drohend, in die Augen. »In zwei Wochen wieder.«
    Man dreht die Hand, so dass er loslassen muss, erwidert aber weiter seinen Blick, hält voll dagegen. »Vielleicht«, sagt man. »Mal sehen. Dieselbe Nummer?« – »Du hast zwei Tage. Wenn du dich bis dahin nicht meldest, lösch die Nummer und vergiss, dass du mich je gesehen hast.« Man sieht ihn nur an, bewegungslos. Etwas ändert sich in seiner Haltung. Er rutscht auf dem Sitz herum. »Okay, ich weiß, was du erlebt hast. Lass dir eine Woche Zeit. Aber spätestens |286| Mittwoch will ich ein Ja oder ein Nein von dir.« Man nickt, hält ihm die Hand hin und er nimmt sie. »Danke«, sagt man und er nickt. »Ruf an.« Man steigt aus. Wartet, bis der BMW in der nächsten Querstraße verschwunden ist. Dann schaut man sich die Couverts genauer an. Achttausend Franken. Marina! Denkt man. Marina! Soll ich das wirklich?
    Der Rezeptionist arbeitet schnell und erledigt den Papierkram in weniger als einer Minute. »Zweiter Stock rechts«, sagt er und drückt einem den an einer Messingplakette befestigten Schlüssel in die Hand. Man geht zum Aufzug, mit dem seltsamen Gefühl, ein neues Leben begonnen zu haben, und nicht ganz sicher, ob man eine vernünftige Entscheidung getroffen hat, also snifft man sich auf dem Zimmer die Birne zu, bis sich alles gut anfühlt und man sich schlafen legen kann.
    Man wird sehen. Man wird sehen müssen.

|287| NOCH EINE STUNDE
    Vier Flaschen Bier waren ein guter Indikator für die Zeitspanne, die Martin noch übrigblieb, und es war nicht einmal die ätzende Stimme in seinem Kopf dazu nötig, ihn daran zu erinnern, dass es dieses Mal kein Zurück gab. Zu oft hatte er in seinem Leben Dinge angefangen und nicht beendet, eines von vielen die Tatsache, dass er Helena nie energisch genug darum gebeten hatte, seine Frau zu werden.

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