Drift
einzumischen. Alles war erlaubt im Krieg und in der Liebe. Und sein Leben empfand er als Krieg und die Liebe hatte aus ihm einen Veteranen mit posttraumatischen Schäden gemacht, genug war genug. Er sniffte. Genug war genug. Er erhob sich, ging zum Bett, nahm den Revolver und klemmte ihn hinter den Gürtel. Konsequent bleiben, dachte er, cool bleiben, jetzt nichts überstürzen. Mehr Drogen.
|290| SCHMUGGELN
Wie man schon relativ schnell feststellt, ist Schmuggeln per Bus keine gute Idee und alles in allem nur verdammt riskant und nervenaufreibend.
Nachdem man eine Nacht im Hotel übernachtet hat, sucht man sich eine Wohnung, sagt, man arbeite nicht, sondern habe reiche Eltern, die einem ein halbes Jahr Zeit geben wollen, sich für ein Studienfach zu entscheiden, und überzeugt den Vermieter, indem man ihm eine halbe Jahresmiete cash in die Hand drückt. »Alles in Ordnung?«, fragt man und der arrogante, kleine Mann wird augenblicklich freundlich und macht sich daran, einem in den Arsch zu kriechen. »Aber selbstverständlich, der junge Herr, alles in bester Ordnung. Wenn Sie noch hier unterzeichnen wollen, dann hätten wir den lästigen Papierkram auch schon erledigt.« Man lächelt ein Jack-Nicholson-Killerlächeln und unterschreibt mit Gavrilovic, Marinas Nachnamen.
Am nächsten Tag organisiert man sich vom Telefon im Hotelzimmer aus einen kleinen Transporter und fährt damit zu den Möbelläden etwas außerhalb der Stadt. Man will nicht allzu viel Geld für Möbel und Teller und Besteck und Gläser ausgeben, doch obwohl man sich für den günstigsten Laden entscheidet, sitzt man am Abend zum ersten Mal im Leben in einer eigenen Wohnung auf der neuen Matratze und staunt darüber, dass man nach einer halben Jahresmiete und ein paar Einkäufen nur noch mit knapp viertausend dasteht. Das reicht ein paar Monate, redet man sich gut zu, und bis dahin wird man schon einen Job gefunden haben. Aber nach ein paar Wochen hat man immer noch keine Stelle und die Drogen, die schönen Kleider und die mit Koksnüttchen in Bars, Diskotheken und im Bett zugebrachten Nächte lassen das Geld dahinschmelzen wie Softeis in der prallen Sonne.
|291| Die Stimme will wissen, wer anruft.
Man sagt ihm, wer am Apparat ist, und er nennt einem eine Adresse. »In einer Stunde. Sei pünktlich.« Man erscheint zur verabredeten Zeit am vereinbarten Ort und der Mann mit dem schwarzen BMW erwartet einen bereits. Man steigt ein und er fährt los. Ohne einen anzuschauen, fasst er sich in die Jackentasche, bringt einen Zettel zum Vorschein und hält ihn einem hin. »Da stehen Adresse, Datum und eine Telefonnummer drauf. Dein Kontakt gibt dir ein Paket. Du übernachtest im Hotel, er gibt dir die Reservierungsnummer. Am nächsten Tag nimmst du den Bus und rufst wieder bei mir an, sobald du hier bist.« Man will den Zettel nehmen, aber er zieht ihn wieder weg. Scheint ein Tick von ihm zu sein. »Dieses Mal machen wir doppelt so viel. Dafür gibt es einen Bonus und du kannst eine ganze Weile freimachen. Such dir einen Job, führe ein normales Leben. Und melde dich erst in einem halben Jahr wieder. Wenn dir vorher die Kohle ausgeht oder die Bullen hinter dir her sind, weil du so viel Kohle ausgibst und dich wie ein Idiot benimmst, will ich nie wieder von dir hören. Sonst bist du ein toter Mann. Verstanden?« Er starrt einen an und nimmt den Blick nicht von einem, obwohl er weiter mit unvermindertem Tempo dahinfährt. »Verstanden?« – »Ja«, sagt man und starrt auf die Autos vor einem, denen man sich schnell nähert. »Ja«, wiederholt man, und als er einen immer noch anstarrt: »Ja, ja, verstanden, verstanden!« Erst jetzt gibt er einem den Zettel, richtet den Blick auf die Straße und bremst scharf. Der Wagen kommt keinen halben Meter hinter der massiven Stoßstange eines Landcruisers zum Stehen. »Steig aus«, sagt er.
Man steigt aus und sieht dem BMW nach, wie er über die Kreuzung verschwindet. Jetzt hat man es getan, denkt man sich, jetzt gibt’s so schnell kein Zurück mehr. Und doch empfindet man kein Schuldgefühl, hat kein schlechtes Gewissen. Auch keine Angst.
Die Angst kommt erst, als man an der italienischen und dann an der Schweizer Grenze seine Papiere zeigen muss.
Das geht nicht, denkt man, todsicher, dass man triefend nass ist |292| vor lauter Angstschweiß, das geht nicht, geht nicht, denn das Gesicht verrät einen, denkt man, die Seele schreit panisch aus den Augen: Nein, nicht einsperren für zwanzig Jahre, lieber eine
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